Fotos: DER STANDARD
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Vier ÖFB-Länderspiele, vier Netzwerkanalysen. Die Pfeile verdeutlichen die Ballwege zu den drei wichtigsten Passpartnern jedes Spielers. Kreisgrößen ergeben sich aus der Summe angekommener und gegebener Pässe.

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Bilden, wenn man so will, ein Dreieck mit Zug zum Tor: Harald Katzmair, Ruth Pfosser und Helmut Neundlinger (von links), die für Netzwerkanalysen von Fußballspielen im STANDARD verantwortlich zeichnen. Was mit der WM 06 begann, setzte sich bei ÖFB-Spielen fort und mündet in die EURO 08.

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Basis ist die soziale Netzwerkanalyse. Für die Forscher ist Fußball ein Spiegelbild der Politik, der Wirtschaft, der Gesellschaft.

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Fußball-Ländermatch in aller Herrgottsfrüh. Das spielt’s im Büro von FAS.research, und zwar stets am Tag nach der Partie. Also aufgezeichnet. Dann sitzt Helmut Neundlinger da, reibt sich den Schlaf aus den Augen und sagt Sätze wie: „Spieler 2, drei Ballberührungen, Pass auf Spieler 4, eine Ballberührung, intendierter Pass auf Spieler 3, Ballverlust.“

Gleichzeitig füttert Ruth Pfosser mit ebendiesen Ansagen einen Computer. Drei bis vier Stunden später ist der Codierprozess abgeschlossen, nun beginnt die statistische Erfassung. Zwei verschiedene Software-Programme visualisieren ein Netzwerk, das Netzwerk wird noch quasi durch den Illustrator geschickt. Die Statistiken, das Netzwerk und ein Neundlinger-Text finden sich zunächst in einer E-Mail, wenig später in der Standard-Redaktion und am nächsten Tag in der Zeitung wieder.

So weit, so gut. Dahinter steckt natürlich sehr viel mehr. Vor allem sehr viel Überlegung. Und die Grundidee, das System der sozialen Netzwerkanalyse im Fußball anzuwenden. Neundlinger und FAS.research-Chef Harald Katzmair hatten sie 2004. Die Oberösterreicher, eingefleischte Vöest-Linz-Fans, waren einander auf der Uni begegnet. Katzmair, Soziologe und Philosoph, baute seine Firma in Wien und San Francisco auf, wurde der Netzwerkanalytiker in Österreich.

Zu seinen Kunden zählen Siemens und Ikea, aber auch Ministerien, Kammern oder der Verband der Technologiezentren. Zuletzt erstellte FAS.research „Netzwerke der Wissensproduktion“, ein Schwerpunkt lag auf dem Vergleich der Netzwerke von Frauen und Männern.

Historisch betrachtet, gilt der gebürtige Rumäne Jacob Levi Moreno als Begründer der sozialen Netzwerkanalyse. Moreno studierte in Wien (Mathematik, Psychologie), ehe er 1925 nach Amerika ging und seine Thesen entwickelte. Sie basieren auf der Annahme, dass „die Wichtigkeit und Relevanz von Beziehungen zwischen interagierenden Einheiten (Individuen) gemessen und bewertet werden“. Netzwerkanalytiker untersuchen Verbindungen und Beziehungen, die Individuen mit- und zueinander haben.

"Signifikante Reduktion"

Das ballesterische Netzwerk, das im STANDARD erscheint, visualisiert der Klarheit halber nur die drei wichtigsten Passwege und Passpartner jedes Spielers. Neundlinger nennt das „die signifikante Reduktion“. Man hätte weit mehr Daten zur Hand, ihre Darstellung würde aber das Auge des Konsumenten überfordern. Stattdessen ist Neundlinger bemüht, Relationen textlich zu verdeutlichen. Zum Beispiel die berühmte Geschichte mit den Dreiecken. Katzmair nennt das Dreieck „den Indikator für die Harmonie in einer Mannschaft“. Je zahlreicher und je ausgeprägter die Dreiecke, desto größer die Harmonie.

Zur Verdeutlichung: wenn zwei Spieler nur miteinander in Beziehung stehen, haben sie mit dem Ball vier Möglichkeiten. Niemand passt; A passt auf B; B passt auf A; A und B passen hin und her. Relativ leicht auszurechnen für den Gegner. „Doch mit nur einem Spieler mehr haben wir das 16fache an Möglichkeiten, nämlich 64“, sagt Katzmair. „Anders ausgedrückt: Wer keine Dreiecke bildet, kann kein Team sein.“

Mag sein, die Forscher haben den Fußball anfänglich als netzwerkerische Spielerei gesehen. Mittlerweile sehen sie ihn als ein Spiegelbild der Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Da wie dort hängt die Stärke des Einzelnen davon ab, wie viele Freunde und Gegner er hat. „Das ist in jedem Machtnetzwerk so“, sagt Katzmair. „Du brauchst deine Haberer im Zentrum, und du brauchst Verbindungen. Was auf dem Fußballplatz passiert, passiert in jedem Büro.“

Drei Schritte führen zum Tor

Die wichtigste Dreiecksbeziehung ist natürlich jene, die zum Erfolg, im Fußballfall also zum Tor führt. Auch in diesem Zusammenhang wundert sich Neundlinger darüber, dass im Fußball nicht schon längst wie im Eishockey eine eigene Assist-Wertung geführt wird. Üblicherweise führen drei Schritte zum Tor: die Einleitung, die Fortsetzung, der Abschluss. Und so schön der Abschluss manchmal ist, er wäre ohne Einleitung nicht zustande gekommen.

Nicht zuletzt ist Neundlinger laufend und analysierend dabei, eine Sprache zu entwickeln, die im Fußball bis dato weder gesprochen noch geschrieben wurde. Teils übernimmt er Begriffe aus anderen Bereichen, teils kreiert er. „Dynamisches Gleichgewicht“ ist so ein Begriff, „reziproke Beziehungen“ ein anderer. Oder die „reaktive Spielweise“, das „Integrationsproblem“, die „tendenzielle Dezentralität“ et cetera.

Am 27. März, nach dem Länderspiel Österreichs gegen die Niederlande, wird sich Neundlinger wieder einiges einfallen lassen. Vorher wird er „Spieler 2, Pass auf Spieler 4“ gesagt und sich den Schlaf aus den Augen gerieben haben. Nachher wird aus den Netzwerken, für die das österreichische Fußballteam und FAS.resarch in der Vorbereitung auf die EURO gesorgt haben, eine Conclusio gezogen. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte. (Fritz Neumann/DER STANDARD, Printausgabe, 27.2.2008)