"Jede Geschichte ist wie ein Konzeptalbum." Todd Haynes (47) studierte Kunst und Semiotik und drehte Undergroundfilme ("Superstar","Poison"). Mit den Spielfilmen "Safe", "Velvet Goldmine" und "Far From Heaven" hat er sich zu einem maßgeblichen US-Filmemacher seiner Generation entwickelt, der gerne formale Wagnisse eingeht.

Foto: Tobis

Ein Ungreifbarer, der sich immer wieder neu erfand: Cate Blanchett spielt in "I'm not there" Jude – eine Dylan-Inkarnation aus jener Zeit, in der der Meister auf die Stromgitarre umstieg.

Foto: Tobis
Mit dem US-Regisseur sprachen Annett Busch und Dominik Kamalzadeh über den Spaß an Posen, Liebe als Krieg und Folk-Energien.


Standard: Mr. Haynes, Sie nähern sich Bob Dylan über sechs verschiedene Figuren an. Damit boykottieren Sie herkömmliche Bio-Pic-Bauarten.

Haynes: Es war die einzige Möglichkeit, um an den Kern von Dylan heranzukommen. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich Dylan eine konzeptuelle Verfremdung aufgebürdet hätte oder mir große kreative Freiheiten erlaube. Leute, die ihn vor Augen hatten, vor allem in den 60ern, beschreiben ihn oft als Gestaltwandler.

Standard: Mit "Superstar – The Karen Carpenter Story" und "Velvet Goldmine" haben Sie auch andere Popstars thematisiert. Veränderung und Verwandlung spielten schon da eine große Rolle. Wie würden Sie die Unterschiede beschreiben?

Haynes: Bei "Velvet Goldmine" ging es tatsächlich darum, sich zu verstellen, um David Bowies Art des "dressing-up", um Maskerade. Es ging um Mode und darum, wie ähnlich sich Identität und Mode sind. Dylans Maskerade war eine völlig andere. In Amerika gibt es dieses unglaubliche Bedürfnis nach Authentizität. Dabei findet sich nichts, was künstlicher ist als das Authentische. Bei Dylan splittet sich dieses Bedürfnis auf, als gäbe es verschiedene Dylans – und gleichzeitig lebt er völlig für den Augenblick. Er engagiert sich zu hundert Prozent und wendet sich dann komplett ab. Er wollte um keinen Preis zurückblicken.

Standard: Christian Bale spielt den frühen Dylan – hier wirkt der Film noch chronologisch, obwohl Sie formal schon Distanz suchen.

Haynes: Christian Bale ist der Dylan der Protest-Ära, aus jener Zeit, in der er bekannt wurde und anfing, unfassbar viele Songs zu schreiben, die so gut zur neuen amerikanischen Linken und Bürgerrechtsära passten. In dieser Geschichte wird er durch die Perspektive eines Dokumentarfilms gezeigt. Es gab meines Erachtens zwei klare Momente in Dylans Leben, in der Frühzeit und in seiner religiösen Phase, in denen er eine Antwort parat hatte. Er hatte jeweils einen solide moralischen Standpunkt, war von einer Bewegung oder Religion angezogen. Leute, die zusammenkommen und dieselbe Antwort haben – um so etwas ging es.

Standard: Der religiöse Dylan ist im frühen Dylan also schon angelegt?

Haynes: Für Dylans Fangemeinde ist es wesentlich einfacher, den ersten Lebensabschnitt nachzuvollziehen, der zweite kann befremden. Aber ich finde, es gibt ähnliche Ränder in beiden Phasen, und das half mir, Dylans christliche Bekehrung zu verstehen. Außerdem sind beides Phasen, in denen Dylans Humor, der sich eigentlich durch alle seine Platten zieht, weniger offensichtlich ist. Eine etwas ernstere Phase.

Standard: Einem privateren Dylan begegnet man in der Figur Robbies und seiner Ehe mit Claire, gespielt von Heath Ledger und Charlotte Gainsbourg.

Haynes: Robbie habe ich als Schauspieler der Gegenkultur gecastet, mit Steve McQueen oder Dustin Hoffmann als Vorbild. Dylan selbst war inspiriert von Leuten wie James Dean oder Marlon Brando. Ich hatte viel über Dylans Liebesgeschichten und Ehe gelesen, aber diese Episode wird vor allem von den Love Songs und, später in den 70ern, von den Songs über die Trennung bestimmt. Und ich habe den Anfang und das Ende der Beziehung parallel zum Vietnamkrieg inszeniert, so dass Liebe und Krieg sich gegenseitig stabilisieren.

Standard: Zugleich haben Sie jede Geschichte, jeder Dylan-Figur einen eigenen visuellen Stil zugeschrieben. Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Haynes: Ich bediente mich einer ganzen Palette von europäischem Kunstfilmen aus den 60ern. "8 1/2" von Fellini spielte eine wichtige Rolle, die Befremdung des zeitgenössischen Künstlers, der es mit der Konsumkultur zu tun hat. Dann die Filme von Godard, wie "Masculin/Feminin" oder "2 or 3 choses que je sais d'elle". Godard hatte diese schönen Frauenfiguren, um die sich alles dreht, die aber keinen Zugang zur Narration oder dem politischen Diskurs hatten. Einen ähnlich blinden Fleck findest du in den Dylan-Songs, er wurde immer wieder angegriffen für den Sexismus in seinen Texten. Robbie und Claires Part soll das reflektieren.

Standard: Und dann natürlich Cate Blanchett. Wie kam es dazu?

Haynes: Cate Blanchett spielt Jude. Hier geht es um die Verkörperung jenes unglaublichen Moments, in dem Dylan seine Gitarre mit Strom versorgt und dabei das Folk-Establishment herausfordert, aber auch das linke Establishment, mit einer recht aggressiven Form von Rock 'n' Roll. Zu diesem Punkt war Dylan wieder diese vollkommen seltsame und einzigartige Figur, wie man es bis zu dem Zeitpunkt noch nie in der Popkultur erlebt hat. Und ich wollte unbedingt, dass eine Frau diese Rolle spielt.

Standard: Richard Geres Teil adaptiert den Stil der späten Western wie "McCabe & Mrs. Miller" und "Pat Garrett & Billy the Kid" – zeigt das Dylans Weltflucht auf?

Haynes: Dieser Dylan erscheint in dem Moment, wo die anderen städtischen Dylans von der Presse verfolgt werden. Jeder Schritt Dylans wurde kommentiert und analysiert, bis alles in dem berühmten Motorradunfall kulminiert. Und schließlich findet man jemanden vor, der das Moderne der 60er ablehnt und in der Vergangenheit Zuflucht sucht. Er geht zurück bis zu den Wurzeln, dem Ursprung der US-Folklore und einer Mystik, zu einer Art von Musik, bei der Dylan immer wieder Energie geholt hat.

Standard: Wie organisiert man eigentlich eine solche Fülle an Materialien?

Haynes: Ich hatte mehrere große Boxes und sammelte alles, was ich in die Finger bekam. So saß ich am Ende tatsächlich mit Unmengen Material da und teilte den jeweiligen Charakteren ihre Musik zu. Jede Geschichte funktioniert im Grunde wie ein eigenes Konzeptalbum. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.2.2008)