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Foto: APA/EPA/Albert OlivÈ
Wien - Handwerk, das jüngste Werk von Richard Sennett, ist nicht überall nur positiv aufgenommen worden (siehe z. B. den STANDARD von Dienstag ). Also nutzte der US-amerikanische Soziologe seinen Vortrag im Wiener Kreisky-Forum in Wien auch dazu, einiges klarzustellen. Zum Beispiel habe der Titel des Großessays, der im englischen Original als The Craftsman erst erscheinen wird, zu einigen Missverständnissen geführt. Im Deutschen, so Sennett am Dienstagabend, denke man tatsächlich eher an das Werken mit der Hand und, in der Tradition deutscher Aufklärung, an das Primat der Vernunft, aus dem sich erst die Praxis ergibt. "Craft" hingegen sei weniger eng definiert, enthalte mehr das Können an sich, eine Kunstfertigkeit, wie in "The craft of parenting", also in etwa: die "Kunst des Erziehens".

Worum es dem Soziologen - um die Angelegenheit ein wenig komplizierter zu machen - auch noch ging, war die Ambivalenz des Begriffs "skill", also Fähigkeit, Fertigkeit, Können - durchaus etwas Erstrebenswertes, das aber das Ungenügen bereits in sich trage. Die reine Fertigkeit des Musizierens, meinte der sehr aktive Cellist Sennett, mache keinen Meister. Im Gegenteil, sie kann zur Minderung der Expressivität führen.

Auf der Brücke zur Gegenwart der Craftsmen begegneten den Zuhörern die Vertreter der "Creative Industries", ein Terminus, den Sennett nicht mag und fast für einen Widerspruch in sich selbst hält. Für wichtiger hält er - heute wie gestern - das Moment der "Vertiefung": "Vier bis fünf Jahre dauert dieser Prozess erfahrungsgemäß, dann verwandelt sich Übung in Können." Wobei es nicht um reine Perfektionierung gehe, im Gegenteil, eine Toleranz gegenüber Fehlern und Ambiguität gehöre zum guten intelligenten Problemlösen. Beispiele: die Macher von Linux und von Wikipedia.

Womit man bei den aktuellen Craftsmen wäre. Es gibt nur immer weniger von ihnen, stattdessen nehmen die Konsulenten zu, deren Skills nicht über Jahre der Auseinandersetzung wachsen, sondern im kurzfristigen Einsatz, den Sennett ablehnt. Leider würde auch an den Unis immer mehr dieser Typ von Fertigkeit produziert. Wie er denn damit lebe, fragte jemand aus dem Publikum. "Wollen Sie einen erwachsenen Mann weinen sehen?", antwortete Sennett.

Aus den Schlussfolgerungen blieb vor allem hängen: dass das wirklich Erstrebenswerte, das, was auch Wittgenstein bei seinem Hausbau in der Kundtmanngasse nicht gelungen ist, das Wissen darum ist, wie's gehört: ein Savoir-faire. Und dass allen Handwerkssparten ein unauflöslicher Konflikt zwischen Teilhabe in großem Maßstab und dem Halten von Qualitätsstandards innewohnt. Als Cellist ist Sennett sich des Problems bewusst. (Michael Freund/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 2. 2008)