Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war am Donnerstag. Da stand mir der Kinogeher plötzlich gegenüber und fragte mich, was das solle: Er hatte doch ins Kino gehen wollen – und war jetzt trotzdem beim Fernsehen gelandet. Das sei nicht fair. Er fühle sich, sagte die Miene des Kinogehers, hinters Licht geführt.

Ich fühlte mich schuldlos. Und überfordert. Schließlich schwebte ich noch auf einer Welle heimatfilmhübscher Hochgefühle. Inklusive zwitschernder Jungmädchenstimmen und harmlos-platter Slowmotion-Onkelwitze in makellosen Landschaften und Räumen aus leicht verblasstem Technicolor. Und in meinem Kopf summten noch die wohl modulierten Stimmen von Waltraud Haas und Erwin Strahl.

Austria 9

Trotzdem hatte der Kinogeher Recht. Schließlich war das die Programmpräsentationsparty des jüngsten heimischen TV-Senders, Austria 9. Und ich stand da im Foyer des Gartenbaukinos. Inmitten von etwa zweihundert Werbe- und Mediaagenturmenschen. Ein bisserl TV-Gesocks war auch da. Und, aber das hatte der Kinogeher noch nicht entdeckt, unten, neben der Gartenbau-Bar saßen die beiden Säulenheiligen des Heimatfilmes und ließen sich hochleben. Oder so ähnlich.

Haas und Strahl waren die Ehrengäste des Abends gewesen. Und hatten uns mehr als unterhalten: Das ewige Traumpaar der Vergangenheitsverklärung geht schließlich blendend als Event-Testimonial eines Wiederholungssenders durch: Hans Moser war und bleibt glaubwürdig verhindert, Peter Alexander hat anderes im Kopf – und die Amis aus den wiederholten Serien sind ebenfalls unabkömmlich. Außerdem wollte man ja vor allem die österreichische Identität des Senders unterstreichen.

Hans Moser

Haas und Strahl hatten uns also unterhalten: Zuerst erzählte Frau Haas eine Anekdote. Wie Hans Moser ihr irgendwann einmal beibringen wollte, wie ein Mütterchen geht. Also imitierte Haas Moser, wie der damals zunächst einmal Haas imitiert hatte. Danach erzählte Strahl auch eine kleine Geschichte. Die mündete darin, dass er das Publikum – großteils zwanghaft berufshippe Permajugendliche ab Mitte 30 - für den nächsten Tag ins Kino einlud: „Wir würden uns freuen, wenn sie morgen um 18 Uhr ins Metrokino kämen – zu einer Galavorführung des Försters vom Silberwald“.

Unmittelbar danach – man war zu Stärkung ans Buffet im Foyer entlassen worden, denn gleich darauf sollte „Im weißen Rössl“ gezeigt werden – hatte der Kinogeher mich angesprochen. Er war ein bisserl verwirrt: Ob das alles wirklich ernst gemeint sei, fragte er mich. Und ob die Leute hier gerade tatsächlich Jingles mit Theo Lingens und anderen Gesichtern, die er zuletzt bei seiner Oma im Schwarzweiß-Nachmittagsprogramm gesehen habe, beklatscht hätten? Und ob es wirklich Menschen gäbe, die jede Woche einen Themenabend der Straßen von San Francisco oder mit Mac Gyver aushalten würden. Und zwar freiwillig.

Filmirrtum

Ich konnte nur mit den Schultern zucken und „vermutlich“ sagen. Aber für den Kinogeher war das genug: Er sei, erklärte er, nämlich nur aus Versehen hier herein gestolpert. Weil in seiner Stadtzeitung im Kinoprogramm für diesen Abend ein schöner Film im Gartenbaukino angekündigt gewesen war. Vielleicht, räumte er dann ein, habe er sich aber auch beim Datum verschaut.

Es sei ihm, sagte der Kinogeher, aber schon ein wenig komisch vorgekommen, als er beim Eingang Brötchen und Drinks bekommen habe und keiner eine Karte sehen wollte – aber drin, als die Jingles liefen und die Ehrengäste redeten, habe er geglaubt, seltsam zu träumen. Nicht richtig schlecht, aber eben doch seltsam. Und jetzt, sagte er, überlege ernsthaft sich die „volle Dröhnung“ zu geben: „Im weißen Rössl“ statt „No Country for old men“ eben.

Aber eines, sagte der Kinogeher, wisse er ganz sicher: Den als Giveaway jedem Besucher zum Abschied überreichten Sat-Receiver werde er wohl seiner Nachbarin schenken. Er selbst, meinte er, habe, wolle und brauche nämlich keinen Fernseher. Und der heutige Abend, meinte der Kinogeher, habe ihn da auch keineswegs umgestimmt: „Ich muss nicht fernsehen – ich habe nämlich ein eigenes Leben.“