Der Strand von Mui Ne ist Schauplatz des jährlichen Dünenlaufs. Der Sand leuchtet Rotgold, das Meer dahinter Azurblau.

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Ockerbraun und träge zieht das Wasser des Fairy River unter den Gummilatschen hindurch. Zur Regenzeit könnte man hier wohl ganz schön ins Schwimmen kommen. Doch jetzt, Ende Februar, stehen die Chancen dafür eher schlecht. Blassblau und von Wolkenfäden geädert ist der Himmel über dem Feen-Fluss des Örtchens Mui Ne. Wie himbeerrote Inseln ruhen die Plastikhocker einer Getränkebude mitten im Flussbett. Spaziergänger aus Saigon waten daran vorbei, staunen weiter hinten über die unerwartet zackigen Gesteinsformationen eines kleinen Canyons. Legen sich an besonders heißen Tagen zur Rast in den seichten Fluss. Untergehen kann hier niemand.

 

Und trotzdem: Es geht noch eine gute Nummer trockener an der Strand-Destination Mui Ne. Für das gleichmäßig befeuchtete Nieselregenparadies Vietnam, in dem sich der Südwest- und der Nordostmonsun die Wolkenklinke in die Hand geben und wo der Himmel zumeist wie eine beschlagene Fensterscheibe über den dampfenden Reisfeldern liegt, ist das keine Selbstverständlichkeit. So zählen die riesigen Sanddünen, die wenige Schritte weiter einen besonders exotischen Flecken neben die Palmhaine zaubern, denn auch zu den eher bizarreren Eindrücken der vietnamesischen Küste.

Wie bei einer Fata Morgana tauchen die spitzen Kegelhüte der Fischer hier in den rotgelben Sandwellen auf. Die Käppis und Fahnen einiger lokaler Polizisten, die an diesem Morgen Mui Nes jährlichen Dünenlauf überwachen, erinnern indessen vage an alte Szenen chinesischer Propagandafilme, Marke "Heimatwüste Gobi". Dass sich die Buben, die dem vom weichen Boden gedämpften Stapfen der Läufer vom Dünenkamm zusehen, später per Sandboard verabschieden, reibt sich freilich am martialischen Bild.

Die ungewöhnliche Dünenlandschaft von Mui Ne zählt zu den sonderbareren Attraktionen der Blauen Küste, wie der zwischen Danang und Phan Thiet liegende Abschnitt heißt. Bekannter als dieser Strand sind freilich die weiter nördlich gelegenen Orte. Danangs Marmorberge etwa, bizarre Kalkfelsen, die sich abrupt aus der Ebene erheben und so für den nötigen Überblick sorgen. Wie zersprungene Scherben leuchten hier die unregelmäßigen Wasserflächen der Reisfelder inmitten der vom Dunst weichgezeichneten Landschaft.

Etwas weiter östlich blendet die helle, sandige Krabben-Autobahn des dreißig Kilometer langen China Beach - einst erklärter Lieblingsstrand und Warmwasser-Therapie der amerikanischen GIs. Die schönsten Strände des Landes liegen kaum mehr als einige Honda-Tankfüllungen entfernt: Nha Trang etwa, die Drehscheibe des vietnamesischen Strandlebens. Das einstige Badeparadies der Genossen ist beschaulich geblieben, dem regen Nachtleben, den Hardcore-Vinotheken, deren Schlangenschnapsflaschen anderswo als Terrarien durchgehen würden, und den mit bunten Lichtergirlanden illuminierten Party-Palmen zum Trotz. Weiterhin dominieren vor allem die leisen Töne: Sanft schaukelt die blaulackierte Armada der Fischereiflotte im lokalen Hafen. Wer mehr Ruhe sucht, findet die an der von Gischt beleckten Granitstein-Küste von Hong Chong. Oder an den türkisgrünen Tauchplätzen der Nha Trang vorgelagerten Inselwelt.

Doch auch eintauchen in die Geschichte kann man hier. "Coconut plus Cham" lautet eine Devise der historisch dichten Region. Rund hundert verwitterte Bauwerke verraten, dass sich hier vom zweiten bis zum fünfzehnten Jahrhundert das hinduistische Königreich der Cham erstreckte. Leuchtend rot tauchen die Ziegel der antiken Klöster und Tempel auf markanten Hügelkuppen auf. Die von der Unesco geschützte Stätte My Son in der Region Danang, deren weitläufige Ruinen bis heute von den Spuren der Vietcong-Heckenschützen und dem brachialen Einsatz US-amerikanischer Bombardements zeugen, zählt zu den interessantesten Optionen.

Seiden-Flipflops shoppen, dem Schweigen stiller Innenhöfe lauschen und natürlich: original chinesische Wontons futtern. All das bietet indessen Hoi An. Vietnams berühmtestes Museumsdorf, am südlichen Ende der China Beach gelegen, wird heute zu Recht als urbanes Juwel der Blauen Küste bezeichnet. Vietnamesisch ist das operettenreife Ensemble aus kleinen Kanälen und einer mehr oder weniger original erhaltenen Altstadt hingegen nur bedingt: Ab dem 17. Jahrhundert diente der Ort als internationaler Handelsposten, vor dessen Küste holländische, chinesische und portugiesische Schiffe vor Anker lagen. Faifo, wie Hoi An damals hieß, erreichte zu jener Zeit eine ähnliche Berühmtheit wie Macao oder das malaysische Melaka.

Die vorsommerlichen Monate der Flaute, während der die Mannschaften auf das nautische Rückticket in Form der Südwinde warteten, wurden jedenfalls gut genutzt. Es entstanden Warenhäuser, später Manufakturen, Apotheken, Pagoden. Japanische Händler verbanden zwei Ortsteile mit einer einzigartigen überdachten, elegant gewölbten Holzbrücke, die sogar einen kleinen Tempel beherbergt. Am fleißigsten waren trotzdem die Chinesen. Sie prägten das Multikulti-Städtchen besonders nachhaltig - mit dem Resultat, dass die engen Gässchen und zunehmend restaurierten Fassaden heute als Musterexemplar eines chinesischen Handelsstädtchens aus dem 19. Jahrhundert gelten.

Viele der langen, schlauchartigen Kaufmannshäuser sind nun den Besuchern geöffnet - diffus beleuchtete Familien-Oasen mit schweren, geschnitzten Türstöcken und rotglimmenden Ahnennischen, die auch an das steife Zeremoniell der konfuzianischen Familien-Ideale erinnern. Längst haben sich in den Häusern des lange Zeit "vergessenen" Städtchens aber auch Galerien und Kunsthandwerker breitgemacht. Darauf verweisen kunstvoll gegossene Gongs und die zahllosen bunten Seidenkugeln der Lampionmacher - am schönsten nächtens, wenn Hoi An ein dichtes, im sanften Wind zitterndes Netz aus roten Lichterketten überzieht. (Robert Haidinger/DER STANDARD/Rondo/7.3.2008)