Kathrin Resetarits: "auf wunsch meiner eigenen mutter ließ ich mich schließlich hypnotisieren, da ich selber schon anfing zu glauben, mein unterbewusstsein, gott oder wer auch immer hätte mein gedächtnis gelöscht, um die menschheit durch diese bei mir vorgefallene panne nicht zu früh über ihr schicksal aufzuklären. leider erwachte ich aus meiner trance und starrte in verächtliche gesichter."

Foto: Heribert Corn

zuerst starb ich. dann beugte sich eine asiatin im weißen angorapullover über einen tisch, um etwas zu schreiben. dann ging ich wieder in die volksschule und fand einen waran in einer grube, den mein großvater für eine ringelnatter hielt, weshalb ich mich so weit vorlehnte, dass ich in die grube fiel und der waran mich biss. danach fragte er, ob er über nacht bleiben dürfe.

dann war man unterwegs zu einem großen fest in einem nachbarort. als die anderen dort ankamen, war ich schon da, geschmückt mit vanilleeiscreme, schokolade und blumen, und leicht apathische, aber freundliche hippiejungen kümmerten sich um meine mutter. im hotel am see musste ich 29 euro bezahlen, weil ich vergessen hatte zu packen.

herr fux, rudi fux hatte meiner schwester eine kronenzeitung gebastelt, in der es nur um sie und ihre reise ging, trotzdem wirkte sie ganz echt. ein kleiner eintrag in der kurznotizenspalte am rand lautete ungefähr so. überschrift: providence. dann: warst du schon einmal ganz allein und krank in providence? ich schon. es war schrecklich.

dann wachte ich auf und war wieder am leben. rund um mein bett saß meine familie. manche weinten. als sie bemerkten, dass ich wieder am leben war, bemühten sie sich, recht und schlecht fassung zu bewahren. sie dachten, alles würde sich früher oder später aufklären. wie ich bald darauf erfuhr, war ich mehrere stunden lang tot gewesen.

niemand konnte das glauben. am wenigsten die ärzte, die am besten wussten, wie unmöglich das war. es gab keinerlei einleuchtende medizinische erklärung. natürlich versuchten die ärzte trotzdem zu erklären, aber ihre ausführungen widersprachen sich und der realität. über stunden hatte ich keine hirntätigkeit mehr gehabt, die künstliche beatmung war ausgeschalten gewesen und die totenstarre hatte schon eingesetzt. auch gab es keinen ersichtlichen grund für mein spontanes wiederauferstehen.

natürlich entwickelten sich sofort abergläubische theorien. verschiedene familienmitglieder vermuteten einen zusammenhang mit ihren geheimsten gedanken, manche aber auch mit banalitäten, wie mit der einen durchdringenden ton erzeugenden kaffeemaschine am gang vor meinem sterbezimmer. was mich betraf, war ich anfänglich nur zufrieden mit mir und meinem meisterstück und stellte mich freudig den untersuchungen. ich war erschöpft, aber guter dinge. meine beine und finger gehorchten noch nicht so richtig, aber mein gehirn schien gar nicht in mitleidenschaft gezogen worden zu sein.

ich habe es immer schon gerne gehabt, wenn sich jemand um mich bekümmert, und die tests der teilweise von weit her angereisten ärzte machten mir spaß. außerdem zeigten sie sich so begeistert über jede meiner antworten. wie ein kleiner tausendsassa fühlte ich mich. meine mutter war netter zu mir als je zuvor. jedenfalls meiner erinnerung nach. mein vater prahlte im krankenhaus mit mir. meine schwester war beglückt, dass sie auch vorkam. nur mein bruder, der missgünstige, hatte sich sofort nach der entwarnung aus dem staube gemacht. wir haben nie viel voneinander gehalten.

doch bald bekam ich zu spüren, was es heißt, als einziger mensch auf der welt, länger als vier stunden, unter ärztlicher überwachung, absolut tot gewesen zu sein. die leute waren gierig, sie wollten alles wissen, und dabei ging es ihnen nicht um mich. kirchenmänner kamen inkognito, politiker zum schein, das fernsehen war sowieso als erstes da, und privatleute hatten auch nichts anderes zu tun, als vor meinem krankenzimmer herumzulümmeln. zuerst dachte ich, das interesse würde mit der zeit abflauen, doch es wurde nur stärker. also rang ich mich durch und erzählte die lächerliche wahrheit.

ich glaubte, damit meine schuldigkeit getan zu haben. dem war aber nicht so. leider schienen sich meine jünger nicht mit meinen wahrheitsgemäßen aussagen über weiße angorapullover und hotelrechnungen zufrieden zu geben. kurzzeitig begeisterte zwar die theorie, dass meine visionen von einer höheren macht an mich gesandte blicke in die zukunft wären, aufgrund von deutungsschwierigkeiten hielt das aber nicht lange vor. meine schwester fuhr sogar nach amerika, wurde aber nicht krank und entkräftete damit meine fähigkeiten als seher endgültig. manche wurden rasend vor wut, da sie glaubten, ich wolle ihnen die antwort auf die letzte frage vorenthalten, manche bemitleideten mich und versuchten, meinem gedächtnis mit guten ratschlägen auf die sprünge zu helfen. mein bruder erzählte der zeitung, ich wäre debil.

ich wusste, was lief

immer wieder musste ich meine geschichte zum besten geben, und als ich beim über hundertsten mal den waran mit einem leguan verwechselte, glaubten die ärzte triumphierend, mir auf die schliche gekommen zu sein. sie hatten viele krimiserien gesehen und außerdem ihr berufsethos im eifer des gefechts außen vor gelassen. der leguan machte schlagzeilen. nicht einmal die seriösesten wissenschaftsmagazine enthielten sich eines kommentars.

mein gesamtes betreuungspersonal machte sich auf verschiedenen abwegen an die arbeit. die einen waren geldgierig, die anderen hofften darauf, als besonders geschickte menschenkenner in die geschichte einzugehen. einige wenige frauen fühlten sich berufen, mir durch große, leidenschaftliche liebe mein verlorenes gedächtnis wieder aufzufrischen. alle glaubten, endlich im richtigen film zu sein. nur ich verlor langsam den glauben daran.

die meisten gingen leider recht durchschaubar vor. ich will jetzt nicht behaupten, dass sie alle sehr viel dümmer waren als ich. wahrscheinlich hatten sie nicht viel respekt vor meinen geistigen fähigkeiten, auch trotz der tests, die das gegenteil bewiesen hatten. mein iq lag immer noch im oberen bereich. aber ich konnte nicht ordentlich gehen, lallte leicht beim sprechen und war längere zeit tot gewesen. es war ihnen nicht zu verdenken. aber mir bereitete es nicht unerhebliche anstrengung, mir auch beim zehnten mal nicht anmerken zu lassen, dass ich wusste, was lief, wenn meine blonde physiotherapeutin plötzlich mit schwarzer perücke und angorapullover vanilleeiscreme und blumen anbot. oder mein masseur lange davon sprach, dass man sich nicht zu fürchten bräuchte vor geistern oder toten verwandten, die einen in der nacht oder unter ähnlichen umständen unter druck setzen.

die zeitungsverkäuferin versuchte mir fallen zu stellen, indem sie mich unerwartet mit fangfragen über amerikas nordosten konfrontierte. manche gingen noch plumper vor. sie drohten mir vor der türe zum gymnastikzimmer mit schlägen, sollte ich nicht sofort mit der sprache herausrücken. auch die todkranken und deren angehörige versuchten mir eine nachricht aus dem totenreich zu entlocken. außerdem interessierten sie sich für die genauen umstände meiner wiederauferstehung. was hatte ich gegessen, wer war mein behandelnder arzt, glaubte ich an gott und wenn, an welchen?

mit der zeit schaffte ich es jedoch, einen großteil der hyänen durch konsequente enttäuschung zu zermürben. es war nicht leicht für mich. ich mache es gern allen leuten recht, und besonders wenn mir zuneigung entzogen wird, der ich mir schon sicher bin, leide ich sehr.

den ärzten war ich unsympathisch geworden, meine existenz brachte sie in verruf. mein vater kam nicht mehr zu besuch. hassbriefe diverser eiferer, in denen sie mir auf unschöne weise anboten, mir dabei zu helfen, meine erfahrungen zu wiederholen, trudelten im spital ein.

trotzdem konnte ich mich nicht durchringen, etwas von leuchtenden tunnels zu erzählen. ich fühlte doch eine gewisse verantwortung auf mir lasten. es war das eine, allen diesen menschen, die mir so zugetan gewesen waren, dabei zuzusehen, wie sie tag für tag den respekt vor mir verloren, aber etwas ganz anderes wäre es gewesen, die welt mit einer geschichte über meine verstorbene großmutter ruhigzustellen, die in einem weißen quader die arme nach mir ausbreitet. das traute ich mich nicht.

der hartnäckige teil, und das waren immer noch genug, blieb mir treu. leider gehörten dazu nicht nur die angenehmsten zeitgenossen. diverse sektenführer, die es noch nicht bis ganz nach oben geschafft hatten, baten mich um meine unterstützung. verschiedene windige zeitschriften schafften es, fotografen einzuschleusen, und kombinierten unvorteilhafte fotos von mir in ihren magazinen mit farbflecken, die meine aura vorstellen sollten. ehemalige komapatienten mit nahtodeserfahrung wollten ihre erfahrungen mit mir austauschen oder mich von ihrer sicht der dinge überzeugen. niemandem war mehr klar, ob ich aus freundlichkeit, aus versehen oder aufgrund meines abstoßenden charakters vom tod nicht akzeptiert worden war.

auf wunsch meiner eigenen mutter ließ ich mich schließlich hypnotisieren, da ich selber schon anfing zu glauben, mein unterbewusstsein, gott oder wer auch immer hätte mein gedächtnis gelöscht, um die menschheit durch diese bei mir vorgefallene panne nicht zu früh über ihr schicksal aufzuklären. leider erwachte ich aus meiner trance und starrte in verächtliche gesichter. angorapullover! stieß meine mutter mit einer abschätzigen handbewegung hervor und verließ das zimmer.

kaum jemand mochte mich mehr, und die gruppe der immer noch an mir interessierten setzte sich aus so erbarmungswürdigen gestalten zusammen, dass ich ihre gegenwart mied. die wenigen frauen, die noch versuchten, mit einem wiederauferstandenen in kontakt zu kommen, kamen bald dahinter, dass es sich bei mir um einen zwar recht intelligenten, sonst aber in keiner weise gebenedeiten zeitgenossen handelte. ich war einsam und müde. also starb ich noch einmal.

ich kannte mich ja jetzt schon ein bisschen aus. insofern hatte ich einen vorteil.

(Kathrin Resetarits, ALBUM/DER STANDARD, 08/09.03.2008)