Der Verhaltensbiologe John Dittami.

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Menschen und Graugänse haben einiges gemeinsam, besonders was das Gebaren in Gesellschaft betrifft, weiß der Verhaltensbiologe John Dittami. Was Menschen von den Graugänsen lernen können, verriet er Susanne Strnadl.

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STANDARD: Kann man Mensch und Graugans vergleichen?

Dittami: Selbstverständlich, und zwar aus zwei Gründen: Erstens sind die grundlegenden physiologischen Prozesse, die mit Erregung, Konfliktverhalten und dergleichen gekoppelt sind, bei Säugern und Vögeln sehr ähnlich, und zweitens sind die Strukturen, die mit Sozialität zusammenhängen, ebenfalls sehr ähnlich. Und da physiologische und neurologische Vorgänge die Bausteine von sozial relevanten Verhaltensweisen sind, findet man immer Parallelen zwischen hochsozialen Lebewesen.

STANDARD: Gibt es soziale Fähigkeiten bei Primaten, die man bei Vögeln bisher nicht kennt?

Dittami: Sozialverhalten ist immer spezifisch für jede Art und für jeden sozialen Kontext. Man kann auf jeden Fall sagen, dass alle bisher untersuchten gesellig lebenden Arten in ihrem Sozialverhalten ein großes Repertoire gezeigt haben, aber es treten nicht dieselben Verhaltensweisen bei jeder Art bzw. in jeder Umwelt auf. Es gibt da auch immer die Diskussion, ob manche Arten ein "Bewusstsein" haben oder nicht - meiner Meinung nach bewegen wir uns da in einer Grauzone. Die Urväter der Soziobiologie haben die These vertreten, dass Gesellschaften nur unter zwei Bedingungen entstehen können: durch individuelles Erkennen und das Belohnen von Kooperation bzw. Bestrafen von Nichtkooperation. Andere Individuen zu erkennen, ist sicher eine Art Bewusstsein, und das fängt schon bei den Ameisen an.

STANDARD: Gibt es neben den Graugänsen auch andere Arten, von denen passive soziale Unterstützung bekannt ist?

Dittami: Die stressreduzierende Wirkung der bloßen Anwesenheit eines Sozialpartners wurde bisher noch nie so dezidiert untersucht wie an der Graugans. Die meisten Studien, die vor allem an Primaten durchgeführt wurden, befassen sich mit aktiver sozialer Unterstützung, wozu auch Fellpflege und Berührungen gehören.

STANDARD: Wie wichtig ist passive soziale Unterstützung für den Menschen?

Dittami: Das ist zur Zeit eine wichtige Thematik der integrativen Medizin. Es gibt Untersuchungen, dass die Anwesenheit eines Sozialpartners Heilungsprozesse beschleunigt oder den Verlauf von Krankheiten positiv beeinflusst. Da wurde aber nicht darauf geschaut, ob das an der Pflege durch den gesunden Partner lag, oder ob die bloße Anwesenheit schon einen Unterschied macht. Derzeit wird untersucht, ob soziale Unterstützung die Anfälligkeit gegenüber Krankheiten mindert oder Altersdemenz hintanhält. Zumindest die gesundheitliche Widerstandskraft könnte auch an Graugänsen getestet werden. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.3.2008)