US-Autorin und Filmregisseurin Miranda July.

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"Das ist mein Problem im Leben, ich hetze durchs Leben, als sei jemand hinter mir her. Selbst bei Dingen, bei denen es gerade darum geht, sich Zeit zu lassen, zum Beispiel Beruhigungstee trinken. Wenn ich Beruhigungstee trinke, schlürfe ich ihn weg, als gäbe es einen Wettstreit, wer am schnellsten Beruhigungstee trinken kann. Wenn ich mit anderen Leuten im Whirlpool sitze und zu den Sternen hochschaue, bin ich die Erste, die sagt: Ist das nicht schön hier? Je eher man sagt: Ist das nicht schön hier?, desto eher kann man sagen: Puh, jetzt wird mir aber zu warm."

Miranda July schreibt klipp und klare Sätze. Das ist in einem Geschäft, das wegen drohenden Umschaltimpulses zunehmend auf die Pointe baut, nicht weiter verwunderlich. E-Mails werden schließlich auch schneller getippt und verschickt als man "Denk’ bitte noch einmal darüber nach" sagen kann. Dementsprechend tendiert auch die Literatur zu kurzen, schnellen Einfällen aus dem Notizblock. Hier noch einen Übergang straffen, dort den Refrain etwas verstärken, das Vorspiel kann man weglassen – und im Finish ordentlich aufs Gas! Eine zunehmend kürzer werdende Aufmerksamkeitsspanne erfordert, damit der Leser bei der Stange bleibt, ähnlich wie eine TV-Comedy mindestens alle halbe Minute einen guten Sager. Ein guter dreiminütiger Popsong ersetzt einen matten Abend in der Oper. Und beim Nachspann sind wir längst auf dem Weg nach Hause.

"Helena und ich könnten nie Freundinnen sein, weil ich nur halb so groß bin wie sie. Die Gleichgroßen bleiben lieber unter sich, das schont die Nackenmuskeln. Außer es sind romantische Gefühle im Spiel, da ist der Größenunterschied sexy. Dann bedeutet er: Für dich ist mir kein Weg zu weit."

Normalerweise müsste man also Julys jetzt in deutscher Übersetzung vorliegende Kurzgeschichten wohl auch unter den Begriff der Popliteratur reihen, sie als flotte, pfiffige Befindlichkeitsprosa mit dem Drall zu Mode und Verzweiflung verunglimpfen. Dass es sich bei diesen schon bei ihrem Erscheinen in den USA hymnisch bejubelten Kurzgeschichten allerdings um mehr, nämlich etwas viel Komplexeres und Dunkleres handelt, das einen trotz des recht großzügig bemessenen Humoranteils auch mitunter schaudernd zurücklässt, verbirgt sich in den 16 vorliegenden Short Storys allerdings zwischen den Zeilen.

Die Angst geht um

Schmerz, Sterben, Tod. Selbstzweifel, Einsamkeit. Die Protagonistinnen in Miranda Julys Welten haben ständig Angst. Sie haben das Gefühl, am Leben als Form eines langsamen Sterbens nicht bloß zu wenig Anteil zu nehmen. Das Leben läuft ohnehin nur gefiltert durch den Bildschirm der äußeren Wahrnehmung, als banale wie deprimierende filmische Erfahrung am Betrachter vorbei. Das Leben auch als etwas bedrückender Traum oder Albtraum. Am Ende wacht man auf. Und ist tot.

Verlassene oder in ihrer Beziehung frustrierte Frauen erzählen hier von ihrer heimlichen Liebe zum britischen Thronfolger Prinz William oder davon, dass ein Schuhkauf zur existenziellen Grundsatzfrage wird. Während ein Wohnungsnachbar auf der Gemeinschaftsterrasse einen epileptischen Anfall erleidet und bewusstlos wird, kuschelt sich eine sich nach Liebe sehnende Heldin an ihn, ohne davon nur die Spur zu merken.

Anstatt ihm zu helfen, versucht sie sich lieber mit Zitaten aus Lebensratgebern darüber Klarheit zu verschaffen, wie es wäre, wenn sie mit ihm eine Beziehung einginge und er deshalb seine Frau verlassen würde. Diese rettet ihm dann im letzten Moment das Leben.

Eine ebenso verlassene, einsame junge Frau erzählt davon, wie sie in der US-Einöde drei alten ängstlichen Menschen Trockenschwimmunterricht auf dem Boden ihrer Wohnung gibt: "Das ist die Geschichte, die ich dir nie erzählen wollte, als ich deine Freundin war." Und acht Seiten später: "Wer mir – jetzt? heute Abend? – wirklich fehlt, das sind Elizabeth, Kelda und Jack Jack. Sie sind tot, das weiß ich immerhin sicher. Was für ein kolossal trauriges Gefühl; ich muss wohl die traurigste Schwimmtrainerin aller Zeiten sein."

Miranda July, die neben ihrer literarischen Arbeit auch als Performancekünstlerin tätig ist und als Regisseurin von Ich und du und alle, die wir kennen vor drei Jahren die Goldene Kamera in Cannes gewann, sucht und findet mit großer Präzision die Sollbruchstelle zwischen Komödie und Tragödie. Das mag zwar aufgrund der recht ähnlichen Baupläne der Geschichten auf die Dauer etwas ermüdend wirken. Der Effekt des kurzen Staunens, gefolgt von einer großen Mattigkeit, verfehlt aber, in kleinen Häppchen genossen, nicht seine Wirkung. Hier werden Gefühle der Unzulänglichkeit auf den Punkt gebracht. Man könnte sie auch als Zeitgeist deuten. (Christian Schachinger, ALBUM/DER STANDARD, 14/15.02.2008)