Palm Springs ist ein Ort,

an dem man schon im März die Cabrio-Dächer aufreißt. Ab Mai, Juni dann eh nicht mehr, da ist es dann zu heiß dafür. Optimale Voraussetzung also für die folgende Klanginszenierung: "Broar! Brrrroooooaaarrrrr!!" Es ist ein ungeduldiges, zorniges Brüllen, mit dem der SL 63 AMG an diesem Testfahrt-Morgen mit den ersten Leerlauf-Gasstößen erwacht. Und den Typ am Volant gleich unmissverständlich auffordert, bald zur Sache zu kommen.

Foto: Werk

Die Sache,

die wäre folgende: Das hier ist kein Salon-Löwe, das Traditionskürzel SL wäre so völlig unzulänglich transkribiert. In seiner Ausprägung als 63 AMG ist der Mercedes-Traumroadster eher ein Tier für die wilde Jagd, wobei Palm Springs und Umgebung dann allerdings auch nicht unbedingt das rechte Umfeld sind, um so einen Boliden auszufahren: Das geht legal und sozial verträglich bald nur mehr auf dem Rennkurs.

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Die Fakten:

Mercedes unterzog die 2001 eingeführte SL-Generation einer überraschend drastischen Modellpflege. Da durften auch die hauseigenen AMG-Tuner wieder ran. Und diese haben erstens das Topmodell - SL 65 AMG - überarbeitet. Biturbo-V12 mit 612 PS / 1000 Nm, 5-Gangautomatik, optimiertes Sportfahrwerk etc., Kostenfaktor: € 260.582. Souverän, aber verrückt, so abgehoben.

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Fast 90.000 Euro weniger

kostet der SL 63 AMG, und bei diesem zeigen die AMGler ihr erstaunliches Können. Zunächst wiegt das Werkl mit 1970 kg viel weniger als das V12-Schwergewicht (2120). Auf der Quartermile dem V12 nur geringfügig unterlegen, leistet der V8 525 PS (630 Nm), die per MCT-7-Gang-Sportgetriebe an die Hinterräder weitergereicht werden. Ohne Wandler. Ohne Zugkraftunterbrechung. Zwischengas beim Runterschalten. Und die Maschine dreht freudig bis 7200 Touren hoch.

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Dazu bauten

die Ingenieure der 7-Gang-Automatik den Wandler aus und eine Nasskupplung ein. MCT steht für Multi Clutch Technology, für multiples Kuppeln also. Ein Doppelkupplungsgetriebe, sagt AMG-Antriebsstrangspezialist Martin Hart, wäre interessant gewesen, aber mit dem enormen Drehmoment nicht zurechtgekommen. Fazit: Dem MTC ist rasche Verbreitung zu wünschen.

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Exkurs.

Lebte der zeitlebens kutschenreisende Goethe heute, er beschriebe den AMG und die "zivilen" SL wohl in einem Opus wie "Verdichtung" und Wahrheit. Seit 1954 wurden 635.000 SL verkauft. Old- und Joungtimer werden zu horrenden Preisen gehandelt, und es ist kein Ende der Begehrlichkeit in Sicht.

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Es geht da natürlich auch um moderne Mythen,

und da gilt für die Mythenmaschine SL geradezu exemplarisch, was Walter Benjamin in seiner genialen Kapitalismuskritik als Phänomen der Aufladung beschrieb. Mit dem SL kann man den Himmel offen sehen. Seine Erfolgsgeschichte hängt eng mit Hollywood, mit Kalifornien, Glanz und Glamour zusammen. Hollywood und Mercedes: Beides Traumfabriken auf ihre Art, was Wunder, wenn sich der SL-Stern aus Stuttgart bei den Stars in Hollywood stets besonderer Beliebtheit erfreute.

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Unmissverständlich potent

Während nun also die AMG-SL schon optisch ihre ganze Potenz unmissverständlich unterstreichen, gerieren sich die übrigen SL etwas dezenter. Generell kommt die Frontpartie ganz neu daher. Schluss mit Vieraugengesicht, neue, markante Scheinwerfereinheiten und eine verbreiterte Kühlermaske prägen das Antlitz. Und das ohnehin mustergültig gestaltete Interieur wurde noch einmal in Technik, Optik, Haptik verfeinert.

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Bei den Motoren galt die Regel:

mehr Leistung, weniger Verbrauch. Schließlich will Mercedes selbst in dieser Liga den Umweltschutz ernstnehmen. Dazu passt, dass das einstige Basismodell jetzt SL 350 heißt. Neuentwickelter V6, 16 Prozent mehr Leistung (316 PS), 0,4 Liter weniger Verbrauch (9,9 l / 100 km).

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Wer's noch bescheidener mag,

für den gibt's mit dem SL 280 überhaupt ein ganz neues Einstiegsmodell. Weiteres technisches Schmankerl: Direktlenkung. Mechanisch. Wichtigstes Element: Zahnstange mit "ausgeklügelter Verzahnung", die dafür sorgt, dass sich die Übersetzung je nach Lenkeinschlag ändert. Das heißt: Weniger Kurbeln beim Parken, superspontanes Einlenken in Kurven, stabiler Geradeauslauf bei hohen Tempi.

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Und Stichwort Wertanlagen:

Richard Neutras Palm-Springs-Beitrag zur architektonischen Moderne, das Kaufmann House (1946), wird demnächst bei Christie's versteigert. Falls Sie nach dem idealen Umfeld zum Abstellen Ihrer Autos suchen. Rufpreis: 15 Mio. Dollar. Neiden wird man Ihnen dort Ihren SL auch nicht.

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Und so präsentiert sich der SL aus Fahrerperspektive. Sportlich, aber mercedestypisch viel Komfort zur Bewältigung des harten Alltags.

(Andreas Stockinger, AUTOMOBIL, 14.03.2008)

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Mercedes-Benz

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