"Eine Foto!", hat Margit Dobronyi mehrere Jahrzehnte lang gebeten. Herausgekommen sind mehr als 150.000 Fotos. Ein kleiner Teil sprießt im Jüdischen Museum Wien.

Foto: Fischer
Wien – Das Leben sprießt. Auf metallenen Stielen, fest verankert und zugleich fragil schwankend, schweben mehr als 2000 Fotos in Blickhöhe im Ausstellungssaal des Jüdischen Museums – ein Meer von Bilderblumen.

Leben! heißt die laufende Ausstellung. Das Logo erinnert nicht zufällig an das selige Life-Magazin, ist die Schau doch ebenfalls bildlastig und eine Bühne der opulenten Darstellung von sozialen Riten. "Juden in Wien nach 1945" heißt sie im Untertitel.

Genauer gesagt: nach 1958. Denn da begann die Fotografin Margit Dobronyi, zwei Jahre zuvor mit ihren Kindern aus Ungarn geflüchtet, in Wien zu arbeiten. Fast 50 Jahre lang dokumentierte sie Feste und Ferien, Kinderjausen, Bälle, Bar- und Bat-Mizwas, Ausflüge auf den Cobenzl oder den Semmering. Am Dienstag konnte sie, mittlerweile 95, der Eröffnung der ihr gewidmeten Ausstellung beiwohnen.

Ruth Beckermann, die die Bilderinstallation konzipierte, hatte angesichts der über 150.000 Negative die Qual der Wahl. Vor ihr spulte sich, wie sie sagt, eine Jewish Soap Opera ab, die Chronologie eines wachsenden Wohlstands (zumindest derer, die nicht aus dem Rahmen dieser Bilder gefallen sind). Man wollte zeigen, dass man wieder etwas zu feiern hatte, dass man auf die Kinder und das neue Auto stolz war wie alle anderen und vielleicht noch ein bissele mehr. Das war nicht mehr die Generation unmittelbar nach der Shoah, als zu den wenigen Überlebenden in Wien die "displaced persons" aus den Lagern kamen und dann die Flüchtlingswellen aus dem kommunistischen Osten.

Ethnografischer Schatz

Weil Dobronyi akzeptiert wurde, entstand die "fast ungefilterte Selbstdarstellung" der teilweise exterritorialen Parallelwelt der Wiener jüdischen Gemeinde. Die Bilder waren für die "eigenen Leute" bestimmt, keine Kunst, sondern Gebrauchsware – "Eine Foto, eine Foto!", soll die Ungarin immer wieder gesagt haben, und "Kein Foto!" war häufig die Reaktion von Kindern, die jetzt als Erwachsene voll Anerkennung vor dem Bildermeer stehen und sich und ihre Freunde wiederentdecken.

Margit Dobronyi hat es wohl nicht geplant, aber sie hinterlässt dem Jüdischen Museum Wien einen ethnografischen Schatz. Zeitmoden, Gesten der Selbstpräsentation, Inszenierungen von Identitäten, der Übergang von Schwarz-Weiß mit seinen Nachkriegsassoziationen zu teilweise amüsant grellen Farben, die ewige Frage des "richtigen" Bildes: Das alles lässt sich ablesen und analysieren. Buntes jüdisches Leben, wie Kurator Werner Hanak-Lettner anmerkt, "im kleinen Maßstab mit großer Energie".

Im sehr lesenswerten Vorwort zum Katalog setzt sich Ruth Beckermann autobiografisch-kritisch mit dem Unbehagen auseinander, das dieser kleine Maßstab in ihrer Generation ausgelöst hat. Zu viel Fassade, zu viel Hypokrisie findet sie in der Bildersprache. Außerdem: "Die" Wiener Juden sind nicht alle in der Ausstellung erfasst. Es gab und gibt Kreise, die nie zu den gezeigten Feiern kamen, und Dobronyi kam nicht zu ihnen.

Wer ihr aber vor die Leica geriet, wurde gut behandelt. Jemand hat ihr gesagt: "Alle machen einen Gorilla aus mir, aber auf Ihren Bildern bin ich ein Engel." Was will man mehr? (Michael Freund, DER STANDARD/Printausgabe, 21./22./23.03.2008)