Der gelernte Atomphysiker Martin Winkelmann machte kürzlich eine sehr spezielle Erfahrung mit den ausgesprochen gestrengen "Abschleppern" der MA48 – denn die schleppten sein Gefährt ab und brachten es zum Abschlepp-Parkplatz in Simmering.

Was an sich noch nichts Besonderes wäre. Nur: Das abgeschleppte Fahrzeug war kein Auto – sondern Winkelmanns Fahrrad. Das hatte er ganz legal am Radlständer vor dem Amtshaus Währing abgestellt und angekettet. Das Rad stand dort zugegebenermaßen eineinhalb Monate lang – aber so ist das nun einmal im Winter.

Doch dann war es auf einmal weg. "Gestohlen", dachte Winkelmann und erstattete Anzeige. Erst später machte ihn ein Freund darauf aufmerksam: Vielleicht war es ja doch die MA48? Tatsächlich: Des Physikers Fahrrad mit der Aufschrift "Giant" stand draußen in Simmering inmitten einer großen Menge anderer Räder. Und Winkelmann wurde zur Kasse gebeten: 48 Euro Abschleppgebühr plus zwei Euro pro Standtag in Simmering. Dazu noch 50 Euro für ein neues Schloss, da das alte ja entfernt worden war.

Bei diesem Preis stellt sich naturgemäß die Frage nach dem Warum. Im Büro der zuständigen Stadträtin Ulli Sima heißt es, dass man beim Radl-Abschleppen durchaus "differenziert" vorgehe und dass üblicherweise "offensichtliche Leichen" nach einer Frist von vier Wochen weggeräumt würden. Nachdem aber zuvor eine warnende Schleife angebracht wurde. Dies alles mache man aber zumeist im Auftrag des Bürgerdienstes, der auf der Suche nach "offensichtlichen Fahrradleichen" durch die Stadt streift.

Nur: Herrn Winkelmanns "Giant" ist alles andere als eine Leiche. Das Rad des Physikers hat alle elementaren Teile dran, die ein Rad braucht: Intakte Laufräder, Sattel, Lenkstange, Pedale.

Eine mögliche Erklärung findet sich höchstens in Flann O'Briens Roman "Der dritte Polizist". Darin wird die "Atom-Theorie" entwickelt, wonach ein Rad bei längerem Kontakt mit Menschen oder Gegenständen Atome an seine Umgebung abgibt und von ihr aufnimmt. Das hieße in diesem Fall, dass das Fahrrad durch das lange Stehen vor dem Amtshaus nach und nach Amts-Atome aufnahm. Das es innerlich richtiggehend magistratisiert wurde. Da wäre es nur naheliegend, wenn es als Teil der Verwaltung geradezu einer Amtshandlung entgegenstrebte.

Interessant ist aber, dass vorbeikommende Amtsorgane ein Rad, das in seiner Atomstruktur zu einem Teil des Magistrats geworden war, als "richtige Leiche" ansahen. (Roman David-Freihsl, DER STANDARD - Printausgabe, 22./23./24. März 2008)