Immer wenn der Rubel rollt, schiebt die blondgelockte Dame am Kassenschalter der Metrostation zwei Tickets durch den Schlitz. Nur rund 50 Cent kostet ein Fahrschein, mit dem man kreuz und quer durch Moskau fahren kann, solange man das unterirdische Streckennetz nicht verlässt. U-Bahn-Fahren scheint denn auf den ersten Blick auch das Einzige zu sein, was in einer der teuersten Städte der Welt noch preiswert ist.

Der Zug passiert die älteste Metrostation der Stadt, die Majakowskaja. 1935 wurde die erste Strecke eröffnet. Bis Mitte der 1950er-Jahre entstanden die prachtvollsten Stationen - größtenteils entlang der Ringlinie, die um das Stadtzentrum herumführt. 20 verschiedene Marmorarten zieren die Wände. Statuen, Reliefs, Wandmalereien und Mosaike, teilweise ein regelrechtes Schlossinterieur, sollten der arbeitenden Bevölkerung, die täglich die Metro benutzt, eine feierliche Stimmung vermitteln. Doch das interessiert die jungen, hart arbeitenden Moskauer heute weniger. Handy am oder Knopf des MP3-Players im Ohr hasten sie auf den steilen, endlos langen Rolltreppen an den langsameren Touristen vorbei, um in Moskaus Untergrund abzutauchen.

Wer dann zum ersten Mal aus der U-Bahn wieder auftaucht, muss nicht gleich seine Geldbörse festhalten: Viele bekannte Sehenswürdigkeiten der Stadt sind frei zugänglich, dort, wo Eintrittsgeld verlangt wird, liegt das Preisniveau bei jenem Westeuropas. Von der Metrostation Teatralnaja etwa sind es nur ein paar Schritte bis zum 1995 wiedererrichteten Auferstehungstor am Historischen Museum, durch das man auf den Roten Platz gelangt.

Keine Zeit für Zwiebeltürme

Auch hier strömen einem eilige Menschen entgegen, Handys klingeln, erste Geschäftsgespräche werden schon auf dem Weg ins Büro erledigt. Niemand hat Zeit, einen Blick auf die im Hintergrund leuchtenden Zwiebeltürme der Basilius-Kathedrale zu werfen. Zar Iwan der IV., der Schreckliche, ließ sie im 16. Jahrhundert nach dem Sieg über die Tataren erbauen. Der Platz selbst hat einiges erlebt: Im Mittelalter war er Marktplatz, später fanden hier die Prunkumzüge der Zaren statt, Revolutionsaufmärsche und Militärparaden folgten. Erst seit wenigen Jahren ist man hier lockerer unterwegs - der Rote Platz ist heute Flaniermeile für Moskauer und Touristen zugleich.

Vor dem Kaufhaus GUM, gegenüber vom Leninmausoleum, sind nun junge Männer damit beschäftigt, eine Bühne fürs nächste Rockkonzert zu errichten. Das 250 Meter lange Gebäude entstand 1893 und war zu sowjetischer Zeit ein staatliches Kaufhaus. Seit der Wende haben innerhalb kürzester Zeit die teuersten westlichen Marken Einzug gehalten. Das Kaufhaus wirbt nun um die Gunst junger Damen, die bislang nur vor den Schaufenstern geblieben sind: Wer in hochhackigen Pumps an einem 100-Meter-Lauf übers historische Pflaster teilnimmt und gewinnt, erhält immerhin einen Einkaufsgutschein im Wert von 3000 Euro.

Den Kreml gibt es eigentlich in vielen russischen Städten, bedeutet der Name doch nur Festungsanlage. Zwanzig Festungstürme bestücken die 2,2 Kilometer lange rote Ziegelsteinmauer Moskaus aus dem 15. Jahrhundert. Pro Kreml-Führung wird auch mindestens eine der mit Ikonen und Fresken reich geschmückten fünf Kirchen besichtigt. Die etwas mehr als fünf Euro pro Eintritt für Ausländer in das Allerheiligste russischer Machtsymbole sind so gesehen geradezu ein Schnäppchen.

Guter Ton aus dem Auspuff

Am nächsten Morgen quält sich der Kleinbusfahrer Andrej über den Leningrader Prospekt durch den Stadtverkehr. Denn selbst wenn die Metro noch so günstig und zuverlässig ist, gehört es hier mittlerweile zum guten Ton, oberirdisch und vor allem privat unterwegs zu sein. "Vier Millionen Autos wälzen sich täglich durch Moskaus Straßen", erzählt er. Viele restaurierte und neue Wohngebäude säumen die Allee. Auch das höchste Wohnhaus Europas, der 264 Meter hohe Triumph-Palast. "Bis 2020 sollen noch 250 weitere Hochhäuser gebaut werden, zu Quadratmeterpreisen, die weltweit ihresgleichen suchen", so Andrej.

Im Park gegenüber dem Neujungfrauenkloster lassen sich drei junge Kunststudentinnen beim Malen über die Schulter schauen. Die fünfkuppelige Kathedrale der Gottesmutter von Smolensk aus dem 16. Jahrhundert ist ein beliebtes Motiv. Die Anlage gehörte zum Ring von sechs Wehrklöstern zum Schutz der Stadt. Hinter der Südmauer schließt sich der Prominentenfriedhof "Novodewitschi" an. Der russische Schriftsteller Tolstoi, Komponisten wie Prokofjew, Maler und ehemalige Staatsmänner wie Chruschtschow und Jelzin sind hier begraben.

Am Abend bahnt sich Andrej den Weg zu Moskaus höchstem Aussichtspunkt, den Sperlingsbergen. Selbst zu dieser Tageszeit sind die Straßen noch verstopft. Den Ausblick auf die Stadt genießen Moskaus Studenten jeden Tag - kostenlos versteht sich. Direkt hinter der Aussichtsterrasse erhebt sich die Lomonossow-Universität. Zwei Hochzeitspaare lassen sich vor Moskaus Lichterpanorama fotografieren. Die Souvenirstände haben freilich zu später Stunde noch geöffnet. Matrjoschkas, Lackschatullen und Holzgeschirr finden reißenden Absatz.

Auf dem Roten Platz herrscht gegen zehn Uhr abends immer noch Hochbetrieb. Touristengruppen ziehen mit ihren Stadtführern über den Platz. Geschäftsleute führen ihre Besucher aus. Eine der Hochzeitsgesellschaften ist inzwischen vor dem Leninmausoleum angekommen und lässt die Sektkorken knallen. Schülerinnen feiern das Ende ihrer Schulzeit. Sie haben sich in pinkfarbene Tüllkleider gehüllt und stöckeln übers Kopfsteinpflaster. Für den High-Heels-Wettbewerb des GUM müssen sie noch ein wenig üben. Wenig später beseitigen zwei Straßenkehrerinnen mit Reisigbesen und "antiken" Kehrblechen die Spuren des zur Neige gehenden Tages.

Russische Geschäftsmänner übernehmen zumeist auch gleich die Rolle des Fremdenführers, einer erklärt seinem britischen Geschäftspartner, was sich da zwischen Kaufhaus GUM und Basiliuskathedrale befindet: Die unscheinbare, runde Steinempore ist der Richtplatz, von dem die Zaren zum Volk sprachen. Heute bedecken unzählige Münzen den Sandboden hinter dem Eisengitter. "Wer ein Geldstück durch den Zaun wirft, wird wiederkommen", sagt der Geschäftsmann zu seinem Gast. Und der Rubel rollt schon wieder. (Dagmar Krappe/DER STANDARD/Printausgabe/22./23./24.3.2008)