R.E.M.: "Accelerate" (Warner)

Foto: Warner

Rock-Dinosaurier. So wurden nicht nur alternde, sondern vor allem auch schwerfällig gewordene Rockbands der 70er genannt, die schließlich vom als Gegengift verschriebenen Punk, von dessen Knappheit und Radikalität ins Museum der sterbenden Arten empfohlen wurden - wo viele bis heute überlebt haben. Doch auch die Generation Punk sowie die im Geiste dieser reinigenden Revolution einst angetretenen Bands waren und sind nicht dauerhaft resistent gegen falsch verstandene Versuche in Richtung erhöhte künstlerische Bedeutsamkeit, bei denen selten mehr als Blähungen entstehen.

Und kaum eine andere Band als eine der erfolgreichsten der US-Postpunk-Jahre, R.E.M., hat nun über ein Jahrzehnt damit zugebracht, sich und ihr Publikum mit schwerfälligen, überambitionierten und vermeintlich gehaltvollen Alben zu belasten. Nach dem monumentalen Adventures In Hi-Fi (1996) begann mit Up (1998) quasi der "Upstieg" und setzte sich mit Werken schwer erträglicher Mittelmäßigkeit wie Reveal (2001) und Around The Sun (2004) fort. Auch auf den jeweiligen Tourneen erlebte man eine Band in der Krise, die ihr eigenes Image als intelligente, politisch bewegte Rockband aus Athens, Georgia, zwar routiniert pflegte, ansonsten aber nicht vom Fleck kam.

Und: Man hatte beständig das Gefühl, dass die Band sich dieses Umstands bewusst war, aber keinen Ausweg fand. Im Vorjahr erschien dann die Kompilation And I Feel Fine, die das Beste aus dem Frühwerk von R.E.M. versammelte und dramatisch vorführte, wie weit sich die Band mittlerweile von ihrem ursprünglich infizierend-drängenden Rock entfernt hatte, der einst Weltnummern wie Finest Worksong, The One I Love oder It's the End Of The World And I Feel Fine zeitigte - allesamt vom Meisterwerk Document von 1987. Ein Album (Green, 1988) später war die Band beim Major Warner gelandet, ein weiteres (Out Of Time, 1991) etablierte sie mit Songs wie Losing My Religion als Weltstars.

Mit dem nun erscheinenden "Accelerate" rufen sie endlich ihre alten Qualitäten neu ab. Das Album rockt! Elf Songs in knappen 35 Minuten lassen keine ausschweifenden Überlegungen und länglichen Etüden zu. Die Band zwingt sich selbst auf den Punkt zu kommen - und spielt auch so. Sänger Michael Stipe, der in aktuellen Gesprächen gerne zugibt, wie unzufrieden die Band mit dem letzten Album war, zieht sich und die Band damit am Glatzkopf aus dem Sumpf der Behäbigkeit. Die Midlifecrisis kann warten. Die eher dreckig produzierte Gitarre Peter Bucks klingt wie nach einer Waschung im Jungbrunnen, am Bassspiel von Mills war ohnehin nie etwas zu bemängeln. Das angezogene Tempo wird bis auf zwei, drei Stücke durchgehalten. Die Ballade Hollow Man oder das von einem dröhnenden Keyboard gestützte Houston veredeln das Album eher, als dass sie es bremsen würden.

Stipes Texte sind natürlich immer noch tendenziell politisch - zum Lärm der antreibenden Band klingt er allerdings hundertmal überzeugender als zuletzt. Eingespielt in knapp zwei Wochen meldet sich also eine fast schon abgeschriebene (Lieblings-)Band in bestechender Form zurück. Zeit war's!

Möge Accelerate kein Intermezzo bleiben, sondern einen zweiten Frühling einläuten! Auch live. (Karl Fluch / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.3.2008)