In innenpolitisch stürmischen Zeiten ist es nicht ungewöhnlich, dass sich Diplomaten aus außereuropäischen Ländern an Journalisten wenden. So wollten auch in den vergangenen Wochen manche wissen, was sie in ihre Hauptstädte zurückmelden sollten. Würde es in Österreich bald Neuwahlen geben? Und: Kann eine Koalitionsvereinbarung ganz einfach aufgekündigt werden? Die überreiche Berichterstattung in den Medien schien ihnen darauf keine Antwort zu geben; es war ja nicht nur für ausländische Beobachter kaum zu unterscheiden, welche Meldung von Neuwahlterminen und Ähnlichem auf Realität beruhte und was pure Medieninszenierung war.

Von dieser Stelle erhielten die Fragenden immer die gleiche Antwort: Die Koalition der Regierungsparteien ist eine politische Vereinbarung, eine Willenserklärung, die jederzeit aufgekündigt werden kann. Im österreichischen Fall werde die Koalition aber halten, weil für jeden der beiden Partner Neuwahlen das Risiko in sich hätten, dass er der nächsten Regierung nicht mehr angehört. Und anders als die Wähler und manche Basisfunktionäre, denen die "Regeneration in der Opposition" gelegentlich als verlockende Alternative erscheint, fürchteten die Spitzenpolitiker nichts so sehr wie den Ausschluss von der Macht.

Es ist aber zuzugeben, dass einem bei derartigen Aussagen zunehmend mulmig geworden ist. Zuletzt hatte es doch stark den Anschein, dass eine gemeinsame Arbeit von Rot und Schwarz nicht mehr möglich war. Eine bedeutsame Konsequenz dieses Zerwürfnisses war es, dass die in Umfragen erhobene Popularität der führenden Politiker in den Keller fiel. Um in der Bevölkerung das notwendige Vertrauen zurückzugewinnen, wird es nicht reichen, öffentlich den Streit beizulegen, wie es diese Woche geschehen ist. Auch die Präsentation der vielen gemeinsamen Projekte wird da keinen Umschwung bringen. Dies vor allem aus zwei Gründen: zum einen, weil rund um die Ankündigung, etwa der Steuer auf Aktiengewinne und andere Arten des Vermögenszuwachses, schon wieder Mini-Konflikte losgebrochen sind, und zum anderen, weil sich der Verdacht erhebt, dass die Regeln für Formen der Eigenvorsorge, die der Staat zu fördern versprach, mitten in deren Laufzeit geändert werden sollen.

Wie jede Krise könnte auch die gegenwärtige, durch vorläufiges Zusammenraufen bewältigte, als Chance für tiefer gehende Veränderungen aufgefasst werden. Ziel des Projektes müsste es sein, die Bevölkerung stärker in die Gestaltung der Politik einzubeziehen, um das Vertrauen zu stärken. Gegenwärtig kommt es viel zu oft vor, dass über die Betroffenen (oder sich betroffen Fühlenden) ohne inhaltliche Debatte drübergefahren wird. Wenn etwa im Bereich der Gesundheitsversorgung Milliardenbeträge in die Diskussion geworfen werden, die angeblich locker eingespart werden können, so steht das in krassem Widerspruch zu den praktischen Erfahrungen.

Die Politiker mögen sich mehr mit Menschen unterhalten, die das Gesundheitssystem aus der Perspektive von überfüllten Wartezimmern oder der vom Patientenansturm überwältigten Spitals-ambulatorien kennen.

Von Politikern ist zu hören, dass für sie neben Gesprächen mit Wählern und Umfragen die Leserbriefe in der größten Zeitung des Landes eine wichtige Informationsquelle sind. Und warum setzt sich dann mit den Menschen, denen die EU offenbar Angst macht, niemand wirklich auseinander? Die Bevölkerung hätte ein Recht darauf, dass Österreichs Identität und Position im enger verbündeten Europa ausführlich diskutiert wird.

Von der Opposition, die zuletzt kaum noch vorkam, ist da leider auch nicht viel zu erwarten. Und wenn neben Blauen und Orangen, die jeden Partner nähmen, der mit ihnen regierte, auch der Grünen-Chef Van der Bellen sich lachend wehrt, potenziellen Wählern zu sagen, mit wem und unter welchen Voraussetzungen seine Partei mitregieren würde, darf er sich nicht wundern, dass die Begeisterung enden wollend ist. (Erhard Stackl/DER STANDARD, Printausgabe, 29.3.2008)