Bild nicht mehr verfügbar.

E-Mails werden immer mehr zum Stressfaktor.

Foto: dpa

"Wenn E-Mails nerven - So bekommen Sie die Kontrolle zurück und arbeiten besser, schneller und sicherer"
Autoren: Günter Weick, Wolfgang Schur
Verlag: Eichborn Verlag, Frankfurt
ISBN: 3821859520
Preis: 15, 37 Euro
Erscheinungsdatum: 1. März 2008

Foto: Eichborn Verlag
Durchschnittlich erhält ein Büroangestellter täglich 39 E-Mails und verwendet 75 Minuten pro Arbeitstag für deren Bearbeitung. Auf jedes geschriebene E-Mail folgen im Schnitt zwei Antwort-Mails. Laut einer Studie fühlt sich bereits ein Drittel der Nutzer durch das hohe Aufkommen im Posteingang gestresst. Die Unternehmensberater Günter Weick und Wolfgang Schur versprechen in ihrem Buch "Wenn E-Mails nerven" Auswege aus der "Mail-Falle".

Das Abrufen der elektronischen Post solle nach einem bestimmten Rhythmus erfolgen und die "eigentliche Arbeit" nicht unterbrechen, meinen die Autoren. Einer Befragung zufolge legen 72 Prozent ihre momentane Tätigkeit ad acta, wenn ein neues E-Mail eingeht. Angeblich vergeuden Führungskräfte umgerechnet dreieinhalb Jahre ihres Arbeitslebens mit irrelevanten E-Mails. Im Interview mit derStandard.at erläutert Günter Weick, warum seiner Meinung nach der E-Mail-Verkehr nicht den Arbeitsalltag dominieren sollte.

derStandard.at: Sie plädieren dafür, nur drei Mal täglich die E-Mails abzurufen. Warum?

Weick: Es ist natürlich auch jobspezifisch, aber zwei bis drei Mal pro Tag sollte das Maximum sein. Vor allem sollte es nicht unüberlegt gleich morgens passieren. Praktisch 99 Prozent aller Leute rufen bei Dienstbeginn als erstes ihre E-Mails ab und fangen dann an, diese abzuarbeiten. Es wäre aber sinnvoll, ein bisschen zu warten, da man morgens konzeptionelle Dinge sehr gut erledigen kann.

derStandard.at: Bringen nicht E-Mails auch eine Struktur in den Arbeitsprozess?

Weick: Wenn einer diese Entscheidung bewusst trifft und sagt, meine erste Tätigkeit ist das Abarbeiten von Mails, ist das auch in Ordnung. Die Entscheidung sollte aber bewusst gefällt werden. Wenn man das macht, dann ist man schon im Hamsterrad drinnen und man arbeitet ab. Die Prioritäten werden zugunsten der Mails verschoben. Teilweise kommt man dann halt zu ganz wichtigen Dingen nicht mehr. Viele sagen, es wäre zwar wichtig, aber ich kann es aus zeitlichen Gründen nicht mehr machen. Das ist eine Gefahr, die man sich vor Augen halten soll.

derStandard.at: Wie ist das im gesamten Unternehmen, wenn nur einzelne Mitarbeiter nach dieser Methode agieren und zum Beispiel Mails, die aus der Chefetage kommen, nicht gleich bearbeiten?

Weick: Manche Dinge machen nur Sinn, wenn sie flächendeckend eingeführt werden. Immer mehr Führungskräfte sehen ein, dass sie ihren Mitarbeitern Schutzzonen geben müssen. Es sollte von der Chefetage die Aussage kommen: Übrigens reicht es bei uns vollkommen, wenn die Mails zum ersten Mal um 9.30 Uhr abgerufen werden. Wichtig ist, dass die Mitarbeiter die Freiräume haben, dass sie das auch tun können.

derStandard.at: Die meisten erwarten, wenn sie Mails schreiben, eine prompte Reaktion. Die ist aber nicht gewährleistet, wenn Mails zum Beispiel nur drei Mal am Tag abgerufen werden.

Weick: Es kommt stark auf den Job und die Erwartungshaltung an. Wenn man an einem Helpdesk sitzt und für Support zuständig ist, sollte natürlich schnell geantwortet werden. In einem ganz normalen Job, wo E-Mailen nicht die Hauptaufgabe ist, kann keiner erwarten, dass auf Zuruf gesprungen wird. Die generelle Erwartungshaltung ist, dass innerhalb von 24 bis 28 Stunden eine Antwort kommt. Und das kann man auch garantieren, wenn nur zwei Mal am Tag die Mails abgerufen werden. In den USA sieht das ein bisschen anders aus. Mittlerweile ist es so wild geworden, dass die Leute auf E-Mails innerhalb von zwei, drei Stunden eine Antwort erwarten. Diese Leute mailen nur mehr und kommen nicht mehr zum Arbeiten.

derStandard.at: Mitarbeiter sollten sich also dagegen wehren, dass ihnen die Prioritätensetzung via E-Mail-Verkehr aufoktroyiert wird?

Weick: Es darf nicht sein, dass extern oder firmenintern vorgeschrieben wird, wie die Arbeit organisiert werden muss. Sie müssen als Mitarbeiter die Arbeitszeit so regeln, dass für sie und das Unternehmen das Optimale dabei herauskommt. Viele glauben, ein E-Mail muss zum Beispiel gegenüber einem Fax oder Brief bevorzugt behandelt werden. Das ist absoluter Blödsinn. Der Inhalt ist für die Priorität entscheidend. Nur weil man mir E-Mails schreibt, kann man mir nicht aufzwingen, dass ich schneller reagiere. Der andere kann mir nicht aufoktroyieren, dass ich antworte.

derStandard.at: Ist die Toleranzschwelle bei Mails in Bezug auf Rechtschreibfehler oder Tippfehler eine andere als beispielsweise bei Briefen?

Weick: Die Toleranzgrenze des Schreibers ist eine andere. Beim Empfänger als Opfer sieht es schon anders aus. Es ist ein Irrtum, dass Leute glauben, sie können schlampig schreiben. Heute kommunizieren viele via E-Mail, die vor zehn Jahren noch gar nicht auf die Idee gekommen sind, selber zu schreiben. Auch Leute aus der Führungsetage, wo das früher die Sekretärin erledigt hat. Mitarbeiter sammeln zum Teil wegen der vielen Tippfehler Mails von ihren Vorgesetzten und machen sich darüber lustig. Der Respekt geht so verloren, weil man sich sagt, mein Gott, wenn der nicht tippen kann, dann kann es mit der Kompetenz auch nicht sehr weit her sein.

derStandard.at: Sie empfehlen in ihrem Buch mehr Telefonkonferenzen. Ist das nicht für Unternehmen teurer?

Weick: Da muss man differenzieren. Wenn es zum Beispiel um verschiedene Zeitzonen geht, dann ist ein asynchrones Medium wie E-Mail sinnvoll, weil man nicht gleichzeitig präsent sein muss. Ansonsten sind die Telefonkosten heutzutage relativ gering. Es gibt Untersuchungen, dass bei einer Teilnehmergröße ab drei Personen Entscheidungen per Mail praktisch nicht mehr möglich sind, weil es ständig hin und her geschoben wird. Wenn es um komplexe Dinge geht, dann ist E-Mail das schlechteste Medium.

derStandard.at: Kann man E-Mail süchtig sein?

Weick: Es existiert keine seriöse Untersuchung, die exzessives E-Mailen als Sucht im medizinischen Sinne ausweist. Es gibt aber ganz deutliche Zeichen, dass heftige E-Mailer ähnliche Verhaltensmuster zeigen wie Süchtige. Sie organisieren ihr Leben nach dem Suchtstoff. Es gibt genügend Leute, die nervös werden, wenn sie ihre Mails nicht abrufen können.

derStandard.at: Sie schreiben, dass Mail-Kommunikation nicht unnötig verlängert werden soll. Wird das nicht als Unhöflichkeit interpretiert, wenn man sich für eine via Mail erhaltene Auskunft oder Information nicht bedankt?

Weick: Jeder muss seine eigene E-Mail Kultur definieren. Bei einem Geschäftsbrief käme man zum Beispiel auch nie auf die Idee, bei allem ein "Danke" hinterherzuschicken und dann wieder "keine Ursache" zurückzuschreiben. Es geht darum, abzuwägen, ob das jetzt störend ist, oder ob es goutiert wird. Wir empfehlen, dann beim nächsten Kontakt, sich kurz zu bedanken. So wird man nicht durch ein zusätzliches Mail in seiner Arbeitszeit gestört.

derStandard.at: Wie kann man bei ständiger Computerarbeit die Mails ignorieren? Einfach das Mail-Programm schließen und nur drei Mal am Tag aufgemachen?

Weick: Wenn es vom Job her ginge, wäre das die beste Lösung. Viele schreiben halt selber Mails und da wäre es unpraktikabel, dass Postfach immer wieder auf- und zumachen zu müssen. Was wir empfehlen ist, die akustischen und optischen Signale des Posteingangs auszuschalten und eine Ansicht einzustellen, wo man nicht sieht, welche E-Mails eingetroffen sind. Man könnte auch den E-Mail-Server so programmieren, dass er nur alle drei, vier Stunden die Mails abruft. Wenn man in den Posteingang schaut, ist man mental nicht mehr bei dem, was man eigentlich tun sollte. Durch dieses ständige Kontextswitchen leiden Konzentration und Produktivität.

derStandard.at: Sie meinen, dass oft nur eine Betreffzeile alleine rausreichend ist, wo man dann mit EOM (End of Message) signalisiert, dass es keine weiteren Infos mehr gibt. EOM ist hierzulande aber nicht sehr weit verbreitet.

Weick: Prinzipiell ist die Betreffzeile sehr wichtig im Mail-Verkehr. Sie hat die gleiche Funktion wie eine Überschrift in einer Zeitung. Der Empfänger muss schon merken, um was es geht. Die Abkürzung EOM ist immer mehr im Kommen. Manchmal sieht man auch KN (Kurznachricht).

derStandard.at: Wie schaut es mit privaten Mails während der Arbeitszeit aus. Gibt es eine Studie, wie viele Unternehmen den Mail-Verkehr ihrer Mitarbeiter überwachen?

Weick: In den USA gibt es Zahlen: 27 Prozent der Unternehmen kontrollieren den E-Mail-Verkehr der Mitarbeiter. Dort, wo private Mails erlaubt sind bzw. toleriert werden, darf der Arbeitgeber überhaupt nicht überwachen. Firmen, bei denen privates Mailen nicht explizit verboten ist, dürfen nicht scannen. Es muss im Arbeitsvertrag drinnen stehen.

derStandard.at: Lässt sich das Einsparungspotenzial für Firmen durch "effektiven Mail-Verkehr" quantifizieren?

Weick: Im Schnitt könnte sich jedes Unternehmen ca. 25 Prozent des betriebenen Mail-Aufwandes sparen, manchmal sind es auch bis zu 50 Prozent. Die darüber hinaus gehenden Effekte sind für uns aber wichtiger. Nur in der Zeit, wo ich nicht von Mails getrieben werde, kann ich konzentriert arbeiten. Die Leute verlieren die Eigeninitiative, wenn sie ihre Aufgaben primär nach dem Mail-Verkehr strukturieren. Sie wissen nicht mehr, was sie tun sollen, wenn ihnen das ihre E-Mails nicht verordnen. Man muss den Leuten klar machen, dass E-Mails nicht nur eine helle Seite haben, sondern auch eine ganz dunkle.

derStandard.at: Wie schaut es bei den heimischen Unternehmen mit dem "Problembewusstsein" in Sachen Mail-Verkehr aus?

Weick: Es ist noch nicht so weit verbreitet. Knapp 80 Prozent der E-Mail-Schulungen, die wir bei Unternehmen gemacht haben, werden durch die Angestellten selbst initiiert. Bei Mitarbeiterbefragungen taucht die Frage des Umgangs mit Mails ganz weit oben auf. Das heißt, es gibt im Management noch kein Problembewusstsein dafür. Die meisten reagieren erst darauf, wenn die Mitarbeiter schreien.

derStandard.at: Geben Sie auch Interviews via Mail?

Weick: Nein, normalerweise nicht. Außer wenn Journalisten nur kurze Zitate für einen Artikel brauchen. (om, derStandard.at, 31.3.2008)