Die hingekritzelte Liebe hielt vielleicht ein, zwei Tage länger in dieser vergänglichen Zeit.

Foto: Matthias Cremer
+++Pro Von Doris Priesching Manches war früher schon leichter. Seinen Emotionen freien Lauf zu lassen, zum Beispiel. Ein wütendes "Der Toni is' so deppert" oder ein verträumtes "T+D" plus Herzerl mit Pfeil herum war schnell an den Rand der Seite gekritzelt. Richtig lustig war es, wenn einer sein Schulbuch vergessen hatte und man "zusammen schauen" musste. Stille Dialoge wie "Hast das Wimmerl am Wadel von der ... gesehen? - Ja, wäääh!" lösten Lachanfälle aus, was ein besonderes, geheimes Vergnügen war, das Verbundenheit schuf. Früher war Schreiben in Lehrbüchern cool, weil a) Rebellion und b) halbwüchsige Selbstbestätigung: Die hingekritzelte Liebe hielt vielleicht ein, zwei Tage länger in dieser vergänglichen Zeit.

Und heute? Sind wir sittsam geworden, trauen uns höchstens mit geschliffenen Widmungen die Buchseiten anzufarbeln, für Notizen behilft man sich mit gelben Aufklebern. Deshalb ist der Aufruf wider die Alterstristesse dringend zu empfehlen: Was war noch gleich der beliebteste Spruch? "Es lebe die Liebe" - und drei Blümchen dazu.

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Contra---
Von Ljubisa Tosic

Auf Giganten ferner Epochen bezogen, wäre das eine reizvolle Sache. Zu sehen, welche Notizen sich Musiker in Partiturstellen gemacht haben - wunderbar! Nicht auszudenken auch das Vergnügen, könnte man studieren, welche Stellen etwa Ex-Kanzler Schüssel im Buch, das er angeblich regelmäßig konsultiert, Graciáns "Kunst der Weltklugheit", markiert und mit welch Zusatzgedanken er sie versehen hat. Erkenntnisse sonder Zahl auch, würde man eine vom Jetzt-Kanzler mit Kommentaren versehene Kreisky-Biografie (noch besser: eine Gusi-Bio!) einsehen können.

Auf einen selbst bezogen, kann das jedoch nur heißen: Vorsicht! In Büchern nur keine Spuren hinterlassen; ihre Umwelt bekäme Zutritt zu intimsten Seelenwinkeln. Zudem: Greift man später wieder zum vollgeschmierten Buch, ist das unbefangene Neulesen undenkbar - man wird nur mit einem sehr fremd gewordenen Kommentator konfrontiert. Schließlich aber kann man so ein Buch auch nicht mehr als Geschenk anbringen oder verkaufen, wenn es finanziell wieder einmal eng geworden ist. (Der Standard/rondo/04/04/2008)