Erdbebenwarnzeichen sollten wohl auch bei Erdgasbohrungen aufgestellt werden.

Illustration: DER STANDARD/Gsöllpointner
Kommende Woche treffen einander 8000 Geowissenschafter in Wien, um Forschungsthemen rund um das Jahr des Planeten Erde zu besprechen. Unter anderem werden sie auch diese vom Menschen verursachten Beben diskutieren.

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Die Idee, so schien es, taugte allenfalls für einen Sciencefiction-Krimi. Ein Bohrgestänge wird in den Boden getrieben. Von seinem unteren Ende aus läuft Wasser in den Untergrund. Auf einmal beginnt die Erde zu zittern - erst unmerklich. Schließlich zerreißt der Boden mit einem lauten Knall, ein Beben erschüttert die Gegend, Gebäude wanken, Menschen fliehen aus ihren Häusern.

Ursache solcher Ereignisse ist normalerweise die Plattentektonik. Dass aber Menschen die kilometerdicke Gesteinskruste der Erde ins Wanken bringen, erscheint unwahrscheinlich. In Basel ist dies aber geschehen: Letztes Jahr löste die Bohrung einer Anlage, die mithilfe eingepressten Wassers Erdwärme aus dem Boden gewinnen soll, mehrere Beben aus. Zwar gab es bei den Beben kaum Schäden, doch das Projekt wurde gestoppt. Auch in Australien, Frankreich und Kalifornien haben Erdwärmeanlagen erhebliche Erschütterungen verursacht.

Der Vorfall offenbart, welch Kräfte wir mit unseren Projekten auslösen können. Neue Studien belegen, dass Menschen auch andernorts starke Erdbeben verursacht haben. Die Erkenntnis bringt Bergbaufirmen und Gasförderer in Bedrängnis, die bislang stets auf eine natürliche Ursache der Beben pochten.

Ab einer Stärke von drei auf der Richterskala ist ein Erdbeben spürbar, ab Stärke fünf gibt es meist größere Schäden, sofern die Gebäude nicht erdbebensicher gebaut sind. Mehr als 200 Starkbeben, die menschlichen Aktivitäten geschuldet sind, hat der Geophysiker Christian Klose von der Columbia University in Palisades, USA, gezählt. Klose ist einer der wenigen Wissenschafter, die das brisante Thema überhaupt untersuchen. Auf der Wiener Geowissenschaftstagung der EGU (European Geosciences Union) vom 13. bis 18. 4. im Austria Center werden sich mehrere Vorträge mit der Gefahr befassen.

Die Hälfte der von Menschen verursachten Starkbeben wurde durch Bergbau verursacht, berichtet Klose. Im Dezember 1989 etwa ließ ein Beben in einer Kohlemine im australischen Newcastle hunderte Häuser zusammenkrachen. Bei dem Schlag der Stärke 5,6 starben 13 Menschen, 165 wurden verletzt. Die Schäden beliefen sich auf 3,5 Milliarden US-Dollar. Der Abbau von 500 Millionen Tonnen Kohle hatte den Untergrund auf riskante Weise entlastet, hat Klose berechnet.

Weil immer mehr Auflast fehlte, geriet eine kilometerlange Gesteinsnaht im Boden zunehmend unter Spannung. Bis Dezember 1989 hatte sich der Druck um etwa 0,1 Atmosphären erhöht. Ein gefährlicher Schwellenwert war erreicht, Erdbeben waren damit jederzeit möglich geworden. Denn die Erde steht weltweit unter großer Spannung. Leichte Druckänderungen reichen aus, um entlang von Schwächezonen ruckartige Verschiebungen auszulösen.

Plötzliche Erdstöße

Als Folge dieser Rechnung wird auch ein Plan mit Vorbehalt betrachtet, mit dem Forscher die Klimaerwärmung stoppen möchten. Die Idee, Kohlendioxid (CO2) im Boden zu verklappen, mag bestechen. Aber wer garantiert, dass das in den fragilen Untergrund gepresste Treibhausgas nicht plötzlich Verheerungen seismischer Natur auslösen könnte?

Die mögliche Erdbebengefahr, die das Unterfangen provoziert, wird nicht erforscht. Ein Fehler, meint Klose. Denn der Druck eines CO2-Lagers von mittlerer Größe würde nach spätestens 30 Jahren den Schwellenwert von 0,1 Atmosphären überschreiten. Das ist gerade deshalb ein höchst unangenehmer Befund, weil Stätten für die CO2-Entsorgung vor allem dort geplant sind, wo das Treibhausgas produziert wird: in der Nähe von Siedlungen und Kraftwerken. Auch der Gasindustrie dürften die neuen Forschungsresultate ungelegen kommen.

Sie bestreitet vehement, dass zwei Erdbeben in Norddeutschland im Herbst 2004 und Sommer 2005 von der Erdgasförderung verursacht wurden. Seismologen jedoch, die die Erdbebenwellen ausgewertet haben, machen die Gasförderung für die Beben verantwortlich. Da es in der eigentlich erdbebenfreien Region keine entsprechende Baunorm gibt, könnte ein Beben nahe einer Großstadt hier beträchtliche Schäden anrichten.

Bei der Gewinnung von Erdgas kam es auch anderswo schon zu Erdbeben, mitunter gar zu äußerst starken. In Frankreich bebte die Erde dreimal stärker als fünf auf der Richterskala. In Italien hat vermutlich die Förderung von Erdgas 1951 einen Schlag der Stärke 5,5 verursacht. In Kalifornien kam es 1983 dabei sogar zu einem 33-mal so starken Beben; es entsprach dem Wert 6,5 auf der Richterskala.

Geheime Erdstöße

Die schwersten Beben dürfte die Gasförderung in den 1970er- und 1980er-Jahren in Usbekistan verursacht haben: Die Folgen der drei Schläge der Stärke sieben wurden in den Zeiten der Sowjet-Diktatur allerdings geheim gehalten. Klar ist jedoch, dass Erschütterungen dieser Größe verheerende Folgen haben. Solche Katastrophen sind in Mitteleuropa nach Meinung der Seismologen aber nicht zu befürchten, denn hier sind die Gasfelder und die Erdbebenzonen deutlich kleiner. Dennoch ist unklar, wie stark Gasfelder in Bewegung geraten können. Der Geophysiker Klose kann hier nur eine Tendenz andeuten: "Dauert die Förderung an, nimmt der Druck meist zu."

Doch Bevölkerung und Politiker verhalten sich gegenüber drohenden Naturgefahren erfahrungsgemäß wenig vorausschauend. Seltenen Ereignissen wird kaum Interesse geschenkt, da können Wissenschafter noch so sehr warnen. In Polen etwa ließ der Abbau in einer Kupfermine nahe der Stadt Polkowice mehrmals spürbar den Boden erzittern. Nun soll die Mine erweitert werden - 500 Meter neben einem Staudamm. "Der Damm droht zu brechen", erklärte der Krakauer Geologe Stanislaw Lasocki im vergangenen September auf einer Tagung in Genf.

Stauseen selbst lassen auch zuweilen die Erde beben. Denn ihre Wassermasse erhöht den Druck im Untergrund. Im Dezember 1967 löste der Koyna-Stausee in Indien ein Erdbeben der Stärke 6,3 aus. 200 Menschen kamen um. (Axel Bojanowski/DER STANDARD, Printausgabe, 9.4.2008)