Bild nicht mehr verfügbar.

Songcontest-Siegerin Marija Serifovic (li.) steht für das nationalistische Serbien. Die Besucher des Musikfestivals Exit in Novi Sad (re.) haben eine deutlich weniger verkrampfte Vorstellung von der Zukunft ihres Landes.

Fotos: EPA/Sulejmanovic, Reuters/Djurica
In Serbien tobt ein erbitterter Wahlkampf. Auf dem Spiel steht der zukünftige Weg des Landes. Ob Serbien seine Integration in die EU fortsetzen wird oder sich stattdessen enger an Russland bindet, werden die vorgezogenen Parlamentswahlen am 11. Mai entscheiden. Die einen wollen ohne Wenn und Aber in die EU, die anderen nur dann, wenn Brüssel den Kosovo als einen Bestandteil Serbiens akzeptiert. Laut den einen gehört Serbien naturgemäß der abendländischen Zivilisation an und kann sich nur in Richtung Westen entwickeln oder untergehen. Die anderen können den westlichen Staaten nicht verzeihen, die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt und so Serbien widerrechtlich zerstückelt zu haben, und suchen die Alternative im Osten. Die ungefähr gleich starken verfeindeten Blocks schenken einander nichts.

Doch egal ob liberal-prowestlich, oder rechts-nationalistisch, in einem sind sich alle einig: Von 20. bis 24. Mai soll sich Serbien als ein guter Gastgeber des Eurovision Song Contest zeigen. Die Vertreter von 43 Staaten werden in der Belgrader Sporthalle "Arena" singen. Sie sollen nur die besten Eindrücke und eine fröhliche Stimmung aus der serbischen Hauptstadt mit nach Hause bringen, sagen die Veranstalter. Wenn schon Serbien seine Zweifel hat, ob es nach Europa gehen soll, kommt Europa wenigstens für ein paar Tage nach Serbien. Eine einzigartige Gelegenheit für das Land, sich als attraktives touristisches Ziel vorzustellen und das schlechte Image im Westen zu korrigieren. Statt der nationalistischen Fratze könne Serbien nun sein schönes Antlitz zeigen, meint ein Schriftsteller.

Für den Direktor des Staatsfernsehens, Aleksandar Tijanic, ist es schlicht das Geschäft des Jahrhunderts für Serbien. Allein der Marketingwert übersteige 100 Millionen Euro, sagte Tijanic. Gastfreundlich und weltoffen - so soll sich Serbien der Welt präsentieren.

Dabei war es eine Zeitlang sogar ungewiss, ob der Song Contest überhaupt in Belgrad stattfinden würde. Nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vor zwei Monaten gingen Bilder von demolierten westlichen Botschaften und Straßenschlachten in Belgrad um die Welt.

Ausgerechnet Marija Serifovic war es, die mit dem Siegeslied des Vorjahresbewerbs, "Molitva" (Gebet), den Song Contest nach Serbien holte. Serifovic unterstützt die ultranationalistische Serbische Radikale Partei (SRS), deren Chef Vojislav Seselj vor dem Haager UN-Tribunal der Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemacht wird. Ein Gegenentwurf

Aber das Bild vom nationalistischen, trotzig verschlossenen Serbien müsste nicht erst durch einen Song Contest konterkariert werden. Für das "andere Serbien" steht schon seit der Gründung im Jahr 2000 "Exit", das größte europäische Musikfestival. Mehr als 200.000 vorwiegend junge Besucher kommen jeden Juli in die Hauptstadt der Vojvodina, Novi Sad, um in der mittelalterlichen Festungsanlage Superstars aus aller Welt live zu erleben. Neben der legendären Punkband Sex Pistols, Paul Weller, Manu Chao, Primal Scream, treten heuer unter anderen Kruder und Dorfmeister, Laurent Garnier und Ben Watt auf.

"Zu Beginn war Exit im international isolierten Serbien für junge Menschen der erste konkrete Kontakt mit der Außenwelt", sagt Ivan Lalic, Entwicklungsdirektor von Exit. Mittlerweile stelle es aber ebenso Serbien der Welt vor, denn es gibt fast gleich viele Besucher aus dem In- und dem Ausland.

Im "State of Exit" herrschen eigene Regeln: Es ist ein multikulturelles Fest der Freiheit, der Toleranz und der guten Stimmung, mit der Ambition, diese Botschaft ins ganze Serbien auszusenden. Die Teenager von heute seien die Wähler von morgen, sagt Lalic und lächelt. Für ihn gibt es keinen Zweifel, dass die europäische Zukunft Serbiens nur eine Frage der Zeit ist. Exit sei ein Katalysator, der diesen Prozess beschleunige. (Andrej Ivanji aus Belgrad, DER STANDARD/Printausgabe, 15.04.2008)