Dort, wo die Asphaltstraßen enden, wird in Venezuelas wildem Osten nicht nur das Strandleben bunt. Lange Bärte haben hier nur die Urwaldriesen in Form von "Spanischem Moos", das sich an den Stämmen entlangrankt.

Foto: Fremdenverkehrsamt Venezuela
Foto: Fremdenverkehrsamt Venezuela
Es dem großen Forscher gleichzutun und in die Nebelwälder der angrenzenden Nationalparks aufzubrechen lohnt sich.

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Ganz am Ende der Straße wird der Asphalt mürbe, und der Regen verwandelt die Schlaglöcher in braunrote Pools. Schweine halten darin Siesta und springen erst ganz im letzten Moment zur Seite. Denn längst hat sich Venezuela hier in ein Dorf verwandelt, allerdings in eines mit Hinterausgang Richtung Dschungel. Hühner und Pagageien halten sich östlich von Rio Caribe längst die Waage. Auch das rostrote Leuchten der Kakaoschoten, die unter schattigen Urwaldriesen Fett ansetzen, ist typisch für diese schöne Balance.

Hie und da führen Stichstraßen zu einsamen Traumstränden in geschützten Buchten. Bloß wer jetzt noch weitermöchte, hinein ins Naturparadies des atemberaubenden Parque Nacional der Halbinsel Paría, muss sich gleich noch einmal filzen lassen. Es ist die zweite Razzia an diesem Vormittag, und schön langsam werden einem die Methoden der Guardia Civil dabei vertraut. Ja, fast scheint es, als stiege man mit der Nähe zum Kokainnest San Juan de la Galdonas auch in der Hierarchie der Verdächtigen auf. Kleinere Verstecke, Jackentaschen, Schuhe scheinen die Uniformierten jetzt nicht mehr zu interessieren. Wer hier dealt, tut es gleich richtig, auf entsprechenden Mengenrabatt bedacht. Kein Koks im Kofferraum, Señor? Adios!

San Juan de las Galdonas

Der leise Nervenkitzel an der Pforte zum Naturparadies der Paría Peninsula ist typisch für die Spannung, die sich bei einem Trip durch Venezuelas Provinz Sucre aufbauen mag. San Juan de las Galdonas, der letzte per Auto erreichbare Ort und Ausgangspunkt zu den Nebelwäldern der Paría gilt als Umschlagplatz des Kokainhandels - vor allem aber als Endstation einer Reise, die, frei nach Joseph Conrad, vielleicht ins weiße Herz der Finsternis führt, aber zunächst bei Sandstränden jeder Couleur beginnt.

Blitzblaues Meer, eine kurvenreiche Küstenstraße und die "gefärbelte Beach" Playa Colorada erwarten einen nämlich, wenn man zwei Flugstunden östlich von Caracas in die Playa-Promenade einsteigt. In kräftigem Ziegelrot zeigt sich der Sand hier, schneeweiß schimmert er auf den Inseln des vorgelagerten Mochima-Nationalparks. Und wer seine karibische Playa lieber auf Aussteigerart serviert haben möchte, findet das in Santa Fe: Die Hippies sind vielleicht verschwunden, aber die Pelikane, die fluchenden Fischer und knallbunt bepinselten Soft-Drink-Buden unter schattigen Palmen sind geblieben.

Und dennoch: Es wäre ein glatter Fehler, sich in einer Provinz wie Sucre als purer Strandläufer zu outen. Dagegen spricht ja allein schon der flüchtige Blick auf Städtchen wie Río Caribe, eine der urbanen Perlen, die sich entlang der Karibikküste reihen. Spätestens wenn die Dämmerung den Häuserfassaden ihr dunkles Make-up anlegt und die schmiedeeisernen Fenstergitter verschnörkelte Schatten werfen, ist klar: Río Caribe hat koloniales Flair. Mintfarbene Posadas mit Stuckrand, rotbraune Nonnenziegeldächer, aufwändig verzierte Holztore prägen die engen Gässchen. Eine museale Kulisse mit echten Charakteren hat sich hier erhalten, ein Biotop mit knarrenden Schaukelstühlen und hellblauen Madonnen auf dem Hausaltar.

Älteste dauerhaft bestehende Stadt

Um ein herausgeputztes Showpiece handelt es sich dabei aber nicht. Das gilt noch viel weniger für die größeren Städte Cumana, Cariaco oder Carupano. Mit barocken Kirchen, robusten Forts und einer von Palmen geschmückten Plaza, auf der manche der älteren Herren noch gebügelte Anzüge tragen und andere bloß einen Sektkübel als improvisierten Helm, verteilen sich diese entlang der historisch bedeutsamen Ostküste.

Wer will, kann in grandiosen Posadas wie Cumanas "Posada San Francisco" die weißen Korbstühle strapazieren - und ein wenig misstrauisch auf die rostigen Amischlitten hinausspähen, die in den aufgebackenen Avenidas Gummi geben. Ein bisschen durchgeknallt sind diese Städte in Venezuelas wildem Osten - und maueralt. Urbane Felsen aus einer Zeit, als die Küste noch Neuandalusien hieß. Cumana wurde schon 1512 gegründet - und gilt damit als älteste dauerhaft bestehende Stadt des südamerikanischen Kontinents.

In Cumana torkelte der seekranke Alexander von Humboldt, nach 41-tägiger Atlantikreise, auf die Hafenmole. Es waren die ersten Schritte zur sogenannten Ruta Humboldt, die abenteuerlustige Touristen in das Hinterland der Provinz Sucre führt, in die rollenden Hügel der Küstenkordilleren, deren Dörfer von den Conquistadores zerbröselnde Kirchen mit Panaromablick geerbt haben, die Kinder erhielten antike Glocken als Riesenspielzeug.

Cueva del Guácharo

Die Hochebene von Santa Maria am Rande des Parque Nacional El Guácharo ist so ein Fall - und ein schöner Stop-over, wenn man Humboldt durch den angrenzenden Bergregenwald der Serrania de Turiniquire hinterherreisen mag. Jetzt, am späten Nachmittag, wirken die Wälder düster, und in den Ästen kreischen Papageien - als ob die durch die Baumkronen stechenden Lichtpfeile der tiefstehenden Sonne mit Vorsatz auf ihr Gefieder zielen würden.

An den langen Baumbärten des Spanischen Moos, das in graugrünen Fetzen an den Bäumen hängt, rasieren die Lichtbündel vorbei. Und schließlich taucht sogar noch das Standbild des Alexander von Humboldt im Wald auf, des manischen Vermessers, Sortierers und Katalogisierers, der ganz Südamerika zwischen einen Rechenschieber klemmen wollte. Seine bronzene Nasenspitze hält noch immer ein Vermächtnis bereit. Sie zeigt in die Richtung eines kleinen Bächleins vor einer fast tausend Meter hohen Felswand, in der sich ein schwarzes Loch auftut: die Cueva del Guácharo, eine der größten Höhlen des Kontinents. Ein Irrgarten aus Stalaktiten und Stalagmiten, vor allem aber Heimat der tief im Inneren lebenden Guácharo-Vögel, die sich mithilfe von Radar orientieren. Als Humboldt die Vögel entdeckte, wurden sie von den hier lebenden Indianern zu besonders reinem Öl verarbeitet. Damit kann die Cueva del Guácharo heute nicht mehr dienen. Aber wenn am Abend die düsteren Ölvögel in riesigen Schwärmen aus der Höhlen flattern, flackert der Himmel noch jetzt. (Robert Haidinger/Der Standard/rondo/18/04/2008)