Ajai Chopra, Ökonom beim Internationalen Währungsfonds (IWF), ist optimistisch, dass die Teuerungsraten in Europa ab der zweiten Jahreshälfte wieder zurückgehen.

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IWF-Ökonom Ajai Chopra, am Dienstag auf Einladung der Nationalbank in Wien, empfiehlt der Europäischen Zentralbank eine baldige Entspannung, was die rigide Zinspolitik betrifft.

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STANDARD: In der jüngsten Europa-Prognose des IWF heißt es, man empfehle der Europäischen Zentralbank, einen "leichteren Stand" einzunehmen, was die Zinspolitik betrifft. Heißt das, sie sollen endlich die Zinsen senken?

Chopra: Wir erwarten heuer eine Verlangsamung des Wachstums in Europa. Wir erwarten aber auch, dass die Inflation wieder zurück geht. Dann sollte auch Raum für die EZB sein, die Geldpolitik zu lockern.

STANDARD: Derzeit wird aber alles teuerer - Lebensmittel, Treibstoffe. Und aktuelle Entwicklungen treiben die Preise weiter. Trotzdem erwarten sie eine Entspannung?

Chopra: Die Kerninflation (Teuerung ohne Energie und Lebensmittel, Anm.) ist relativ gebändigt. Die Gesamtinflation wird auch zurückgehen, wenn die Konjunktur langsamer wird. Aber Sie haben recht, es gibt Schocks. Aber weil die Inflationserwartungen stabil sind, erwarten wir keine Zweitrundeneffekte, deswegen wird die Inflation wieder sinken.

STANDARD: Reagiert Europa nicht etwas hilflos auf die Krise?

Chopra: Europa und die USA wurden sehr unterschiedlich von den Finanzmarkt-Turbulenzen getroffen, besonders Kontinentaleuropa. Deswegen reagieren die Zentralbanken auch unterschiedlich. Es ist keine Frage: Wir müssen uns alle zurücklehnen und aus dieser Erfahrung lernen. Was die Zentralbanken getan haben, um Liquidität zur Verfügung zu stellen, war sehr vernünftig. Aber wenn es um eine Reduktion der Zinssätze geht, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die Federal Reserve hat eben ein anderes Mandat als die EZB.

STANDARD: Sollte dieses Mandat der EZB neu überdacht werden?

Chopra: Das Mandat wurde ihnen von den Gesetzgebungen übertragen. So ist es eben. Zentralbanken müssen sich in dem Umfeld bewegen, das sie bekommen haben. Mehr will ich dazu nicht sagen.

STANDARD: Manche Ökonomen sagen, mit der Steuerung der Geldmenge über die Leitzinsen kann man heutzutage die Inflation gar nicht mehr beeinflussen.

Chopra: Insgesamt würde ich dem nicht zustimmen. Die Rolle, die Geldpolitik hat ist, die Inflation zu stabilisieren. Die EZB hat substanzielle Glaubwürdigkeit über die vergangenen zehn Jahre erreicht. Der Ölschock oder der Nahrungsmittelschock hätte noch drastischer ausfallen können, wenn die EZB weniger glaubwürdig wäre. Die Geldpolitik ist also effektiv.

STANDARD: Der IWF erwartet eine milde Rezession in den USA und einen Abschwächung der Konjunktur in Europa. Manche sagen, Sie seien zu pessimistisch.

Chopra: Wir sagen, im Unterschied zu vielen anderen Beobachtern, die Risiken und die Potenziale in Europa halten sich die Waage.

STANDARD: Wie gut wird sich Osteuropa halten können?

Chopra: Der aufstrebende Teil Europas hat sich in der Krise bisher als sehr belastbar gezeigt. Die Kosten der Finanzierung sind zwar sicher gestiegen. Aber sie profitieren noch vom "EU-Heiligenscheineffekt", nur weil sie mit der Integration, mit Strukturreformen begonnen haben. Einige sind jedoch höchst verwundbar, wegen hoher Leistungsbilanzdefizite, Auslandsschulden. Unsere Prognose für die ganze Region ist aber eine "sanfte Landung". Für einzelne Länder kann aber ein "harter Aufschlag" nicht ausgeschlossen werden.

STANDARD: Und Österreich?

Chopra: Österreich hat enorm von der Integration Ost- und Südosteuropas profitiert. Österreichs Banken und Unternehmen sind dort gut vernetzt, sie müssen aber jetzt an ihre Langfriststrategie denken. (Leo Szemeliker, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.4.2008)