Der Magier und sein Assistent: US-Avantgarde-Regisseur Kenneth Anger (li.) und Gitarrist Brian Butler – heute, Mittwoch, zu Gast beim Donaufestival Krems.

Foto: Donaufestival
Krems – Seine Auffassung von der Funktion des Kinos ist, vorsichtig formuliert, ein wenig eigenwillig: Es handle sich um eine Maschine voller böser Kräfte, die dazu da sei, sich der Zuschauer zu bemächtigen. Das hat durchaus System. Der US-Filmemacher Kenneth Anger, dessen experimentelle Arbeiten Fireworks , Scorpio Rising oder Lucifer Rising längst zum Kanon des Avantgarde-Kinos gehören, ist ein Anhänger des Okkultisten Aleister Crowley und dessen magischen Verständnisses der Welt.

Mit seinen Filmen will Anger die Kräfte des Chaos erwecken, aber man muss diese Ansichten nicht unbedingt ernst nehmen, um an seiner hochsymbolischen Bildsprache und Auseinandersetzung mit Archetypen der Populärkultur Gefallen zu finden. Zu seinen Bewunderern (und Förderern) gehörte zum Beispiel der Surrealist Jean Cocteau – kaum verwunderlich: Auch Anger zielt auf Bildstrategien ab, in denen traumähnliche, homoerotische oder auch mystische Ebenen zueinander in Beziehung gesetzt werden.

Anger, der vergangenes Jahr 80 Jahre alt wurde, ist vom Donaufestival Krems nun zu einer "langen Nacht" eingeladen worden. Dazu gehört die musikalische Performance Technicolor Skull, bei der er zu eigenen Visuals Theremin spielt und dabei von Brian Butler auf der E-Gitarre begleitet wird. Die eigentliche Sensation aber ist die Präsentation des knapp halbstündigen neuen Films Ich will!, schließlich gab es von ihm seit Lucifer Rising (1981) keine längere Arbeit mehr zu sehen.

Ornamentale Körper

Anger arbeitet sich darin erstmals an konkretem historischem Material ab. ist eine Auseinandersetzung mit dem Bilderfundus des Dritten Reichs, insbesondere der Hitlerjugend. Das mag als Thema zunächst fern erscheinen. Doch Anger geht es weniger um eine historische Auseinandersetzung als um die figurativen Aspekte des Bildmaterials, um die Emblematik und Arrangements von jungen Männerkörpern, die in den Aufnahmen gleichsam zu Ornamenten eines verbrecherischen Regimes werden.

"Diese historische Periode hat mich schon immer fasziniert", erzählt Kenneth Anger im Standard-Interview, "Sie war fetischistisch in ihrer Verwendung von Fahnen und Emblemen. Der Film entwickelt sich zum Marsch in Richtung Festung Landsberg, wo Hitler interniert war und Mein Kampf geschrieben hat. Der ganze Film ist dementsprechend im Marschrhythmus geschnitten – es handelt sich also um einen Marsch in den Untergang: Am Ende formieren sich die Fackeln vor der Festung zu einem riesigen Hakenkreuz."

Die Märsche der Hitlerjugend zur Festung Landsberg in den Jahren 1937 und 1938 waren im Anschluss an die Reichsparteitage als propagandistische "Bekenntnismärsche" inszeniert. In Ich will! ist die heroisierende visuelle Emphase, welche die Körper und ihre Disziplinierung unterstreicht, im Originalmaterial schon angelegt. Anger bringt durch den Schnitt allenfalls stärker hervor, wie sie sich mehr und mehr zu militärischen Blöcken zusammenfügen.

Hatte er keine Sorge, das Material zu affirmativ zu gebrauchen? Die Antwort ist ausweichend: "Was mich an der Hitlerjugend fasziniert, sind die Anordnungen der Körper, etwa jene männlicher Beine. Sie tragen alle diese kurze Hosen, haben starke Waden. – Wichtig ist, dass ich auf den Ton verzichtet habe. Man hört die Propagandareden nicht. Ich habe das herausgelassen, damit man das Material abstrakter betrachten kann."

Mit Ich will! schreibt sich Anger, bis auf eine stark bearbeitete Farbszene, dennoch zu ungebrochen in den Urtext ein. Die Verwendung von Bruckners neunter Symphonie als musikalische Untermalung lässt den Film zum Requiem einer todesmutigen Jugend werden, das in mehrere Richtungen gelesen werden kann. Anger reklamiert es für sein Werk. Doch diese Bilder gehören nicht nur ihm. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/Printausgabe, 30.04.2008)