Authentische Szenen aus einem Leben und Werk ohne Liebeslied? Nein, "Professor" Stefan Weber inszeniert sich in "Weltrevolution" als einer, der den Alltag etwas bizarr bewältigt.

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Wien - Die Geschichte mit den Hendln, die auf offener Bühne geschlachtet werden, stimmt nicht. "Das haben wir nicht gemacht. Da hätten wir mit dem Tierschutzverein die größten Probleme!"

Ansonsten aber war so ziemlich alles erlaubt. Wut darf man hierbei als Motivationsfaktor zwar nicht geringschätzen. Aber erst wenn man weiß, mit wie viel Spaß es verbunden sein kann, die Grenzen der Scham und des sogenannten guten Geschmacks zu überschreiten, kommt man Stefan Webers innerem Stürmen und Drängen ein wenig näher.

Seit fast vierzig Jahren ist der "Professor" - der Spitzname verdankt sich seiner ehemaligen Zweitprofession als Lehrer - der charismatische Kopf der österreichischen Rockband Drahdiwaberl, die mit ihrer Mischung aus punkigem Agitprop, karnevalesken Bühnenshows - bei denen grundsätzlich jedem Exzess die Türe weiter geöffnet ist - und einem ausgeprägtem Sinn für Anarchie eine der immergrünen Institutionen der heimischen Musikszene darstellt.

Nicht nur Schockrock

Vierzig Jahre sind - mit kleineren Unterbrechungen - auch definitiv ein Zeitraum, der eine filmische Würdigung des Schaffens rechtfertigt. Weltrevolution heißt nun der Collagefilm von Klaus Hundsbichler, der die Bandgeschichte nicht einfach nur Revue passieren lässt, sondern sie auf österreichische Verhältnisse rückkoppelt.

"Nur Drahdiwaberl als chaotische Schockrockgruppe, das würde der Gruppe ja auch nicht gerecht werden", kommentiert Hundsbichler seine Entscheidung, Archivmaterial aus der heimischen Politik in den Film zu streuen - vom AKH-Skandal über die Waldheim-Affäre bis zur schwarzblauen Wende im Jahr 2000.

Drahdiwaberl wird im Rücklauf zur zeitgenössischen Rockband, die ihre Irritationen über bestimmte Entwicklungen der Republik übersteuert, aber zielsicher zum Ausdruck bringt.

Der sonderbare, ja heilsame Effekt des Films ist, dass die Politikeraussagen von "sauren Sümpfen" und "der Insel der Seligen" plötzlich surrealer als die Musik wirken. "Es gibt einen Spruch von Dario Fo, den ich sehr schätze: ,Man muss lachen können, aber die Nägel müssen im Kopf stecken bleiben.'", sagt Weber im Gespräch mit dem Standard. "Uns wurde ja oft vorgeworfen, dass die Texte so unsubtil sind. Subtilität war ja nie meine Stärke."

Pack den Holzhammer aus!

Mit dieser Selbsteinschätzung dürfte er recht haben. Aber seine Übertreibungskunst wollte ohnehin hauptsächlich provokant sein. Zum Beispiel wenn es darum geht, Frust über politische Haltungen in möglichst eingängige Slogans zu verpacken.

"Wir arbeiten mit dem Holzhammer, das stimmt schon", sagt Weber. "Ich wollte immer die wildeste Rockband der Erde haben. Zumindest die wildeste Österreichs ist es geworden. Wichtig war mir, dass man etwas Überraschendes tut, etwas, was nicht erwartet wird. Ich hab mein ganzes Leben lang kein Liebeslied schreiben können. Das war mir immer zu fad. Dafür gibt's den Fendrich. Bei mir musste es mindestens eine Blutorgie mit sechs Toten sein!"

Wie es zu der unverwechselbaren Bühnenästhetik von Drahdiwaberl gekommen ist, erklärt sich in Weltrevolution aus dem zeithistorischen Zusammenhang. Ende der 60er-Jahre war Weber vom Wiener Aktionismus und seiner tabubrechenden Körperlichkeit zutiefst beeindruckt.

Die Band spielte bei den legendären Akademie-Festen auf. Noch bei den jüngeren Konzerten, bei denen sich das Ensemble zur Großfamilie mit illustren "Wiener Originalen" erweitert hat, beginnen beim Mulatschag alle möglichen Körpersäfte zu fließen - ein Aspekt, der sich über die Jahre sogar noch radikalisiert hat. "Das geht dann irgendwann bis zum Selbstmord auf offener Bühne."

Da lacht der Meister: "Die Fäkalszenen sind vor zehn Jahren das erste Mal passiert. Wir haben ja ein paar Typen dabei, die das echt leben. Die sind so aufgezwirbelt, dass sie auch nach der Show nicht abschalten können."

Ein Hendl namens Hilde

Die Grenzen zwischen Bühne und Leben verschwimmen. Eine Drahdiwaberl-Tour, heißt es einmal, sei eine "Orgie auf Rädern". Den authentischen Weber abseits der Posen und Provokationen wird man in Weltrevolution aber umsonst suchen. In einer inszenierten Rahmenhandlung sieht man, wie er einen alltäglichen Tag daheim bewältigt.

Mit dabei ist Hendl Hilde. Ein Versuch, dem gängigen Duktus vieler Musikerdokumentationen zu entkommen? "Mein Leben zu verfilmen, das wäre ein Sechs-Stunden-Film geworden!"

Eine gute Entscheidung, alles auf einer symbolischen Ebene zu belassen. (Dominik Kamalzadeh/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13. 5. 2008)