Sozialforschern zeigt sich seit Jahrzehnten eine stille Revolution im Wandel der Leitwerte. Erstens einen Wandel weg vom früheren Gegensatz von Leistung und Lebensgenuss zur Ergänzung und Verschmelzung von Leistungsethik und Hedonismus. In meiner Jugend – 1968 – bedeutete Genießen vorab Leistungsverweigerung, man war entweder "Hippie" oder "Streber", entweder glücklich eingeraucht im Schlafsack an der Südküste von Kreta oder fleißiger, lustunfähiger Ehrgeizling. Weil das Stereotyp schon damals falsch war sind auch liberale und triebfreundliche "68er Werte" in die Gegenwelt des Establishments eingesickert und haben die zuvor knöchern-hölzerne, autoritäre Wirtschaftswelt etwas aufgelockert und allmählich gewandelt.
Statt Disziplin oder Disziplinlosigkeit, Pflichterfüllung, Arbeitslast und Arbeitsleid, zum Merkmal der Unterschichten geworden, wurde in den Mittelklassen nunmehr "Lust auf Leistung und Lebensgenuß, Lust am Erfolg und Arbeitsfreude, Flow, Fun, Action, Moments of Happiness gefeiert und work-life-balance" gefordert. Wenn jedoch die Wirklichkeit schäbig hinter diesen glanzvollen Idealen und Ideologien zurückbleibt und hochfahrenden Ansprüchen nicht genügt, werden eine zynisch-instrumentelle, extrinsisch motivierte Arbeitseinstellung der unteren Schichten (reiner "cash-nexus") oder parasitäre Ansprüche auf "Staatsknete" auch im Kleinbürgertum und Mittelstand adaptiert. Zweitens gibt es einen Wandel vom Primat sogenannter Sekundärtugenden "abhängig Beschäftigter" (die allenfalls Fleiß, Pünktlichkeit, Pflichterfüllung, Ehrlichkeit und Gehorsam zeigen - oder eben nicht; aber nicht mehr, wie zunehmend nötig), zur Vorherrschaft unternehmerischer Leitbilder, wie Selbständigkeit, Eigenverantwortung und Verantwortung, Risikofreude, Gestaltungskraft, Innovationsbereitschaft, usw., kurz: Arbeitnehmer als Mit-Unternehmer. Das kann man als "neo-liberal" wie auch als "emanzipatorisch" verstehen oder missverstehen, "rinks oder lechts", als Realität ist es unleugbar.
Die Leitidee dahinter: Arbeit muss Spaß machen – oder sie macht krank. Ohne Arbeitsfreude keine Motivation: Abwechslung, Herausforderung, Erfolgserlebnisse, persönlich etwas bewegen, gestalten, sich selbst etwas beweisen, was andere anerkennen und achten – doch wer hat schon die Chance auf solcherart erfüllende Arbeit?