Kári Stefánsson, Chef der isländischen Firma deCODE genetics.

Foto: DER STANDARD/Fischer
Warum Stefánsson trotzdem an die Genanalyse glaubt, sagte er András Szigetvari.

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STANDARD: Ihr Unternehmen bietet kommerzielle Genanalysen an. Wie kann das Gesundheitsystem von solchen Tests profitieren?

Stefánsson: Die Feststellung genetischer Risikofaktoren wird die Medizin in den kommenden drei bis fünf Jahren komplett revolutionieren. Die meisten gebildeten Menschen im Westen werden dann von sich Genanalysen erstellen lassen. Was die Medizin in den vergangenen Jahren am stärksten weitergebracht hat, war, dass wir die Gefahr eines Herzanfalls durch die Messung des Cholesterinspiegels einschätzen können.

Die Risiken, die wir bestimmen wollen, sind weitreichender. Und wir sollten unsere Schwächen kennen. Hätte Achilles das mit seiner Ferse gewusst, er hätte sich behandeln lassen. Die Bedenken, die es gibt, gelten den Auswirkungen der Tests. Werden wir ängstlicher? Vielleicht. Aber Hauptanliegen der Präventivmedizin ist es ja, die Leute zu beunruhigen.

STANDARD: Ist die Angst berechtigt, dass die Genanalyse letztlich dazu genutzt wird, Menschen zu diskriminieren?

Stefánsson: Der Mensch scheint dazu bereit zu sein, alles Mögliche zu nutzen, um andere zu diskriminieren. Die US-Amerikaner haben deswegen soeben ein Gesetz gegen genetische Diskriminierung verabschiedet. Das macht aber gar keinen Sinn, weil wir doch ständig auf Grundlage genetischer Anlagen diskriminieren. Die Fähigkeit, bei einem Test gut abzuschneiden, hängt ja auch davon ab, wie man geboren wird, und nicht nur vom Fleiß. Jeden prägt auch die Musik, die er hört, die Literatur, die er liest. Aber zu einem großen Teil sind wir auch das Genmaterial, das wir von unseren Eltern bekommen haben.

STANDARD: Sie bieten Ihre Genanalysen dem Kunden direkt über Internet an. Fehlt da nicht die ärztliche Betreuung?

Stefánsson: Als ich mein genetisches Profil erhielt, wollte ich es mir allein ansehen. Andere wollen einen Arzt hinzuziehen. Wir sollten Menschen erlauben, das selbst zu entscheiden. Jeder vernünftige Mensch lädt sich heute Material über seine Symptome aus dem Internet herunter, bevor er einen Arzt aufsucht. Das erlaubt einen Dialog mit dem Arzt. Und die Humangenomanalyse bedeutet einen weiteren Schritt in diese Richtung: dass Menschen die Verantwortung für ihre eigene Gesundheit übernehmen.

STANDARD: Wie hängen eigentlich Gene und ökonomischer Profit zusammen?

Stefánsson: Unglücklicherweise leben wir in einer Gesellschaft, in der wir uns dafür entschieden haben, den Markt fast alles verteilen zu lassen. Die Versuche, das Genom für den Profit der Menschheit auszubeuten, wurden fast ausschließlich von Firmen unternommen. Würden sie das nicht tun, würde es niemand tun. Das ist aber nicht der Fehler der Unternehmer, sondern der Gesellschaft, die ihnen das Feld überlässt.

STANDARD: Ihnen wird nachgesagt, ein sehr schlechtes Verhältnis zu Ihren Kritikern zu haben. Stimmt das?

Stefánsson: Nein. Aber die Kultur im deutschsprachigen Raum ist seit dem Zweiten Weltkrieg äußerst kritisch gegenüber der Genetik, sie sehen da eine Verbindung. Das ist ein großer Fehler. Es gibt etwa 500 Artikel im deutschsprachigen Raum, in denen ich als Erbe Hitlers und Stalins dargestellt werde, weil ich in einer Firma arbeite, die in der Humangentik tätig ist. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.5.2008)