Die Verletzung war nicht am Jalovec (2645 Meter) passiert, sondern am Tag danach. Bergab, am Weg vom Dreiländereck (1509 Meter) nach Kärnten. Nicht in Fels, Eis, Schnee, sondern auf einem Forstweg, was im Nachhinein auch gar nicht wundert. Gerade weil es noch am Tag davor um ganz andere Gefahren als die einer Forststraße mit Schlechtwetter im Rücken gegangen war.

Etliche Tage davor, in Petrovo Brdo, hatte sich die angesichts der Schneesituation im Triglav-Gebiet geplante Bergtour noch zerschlagen. Nachdem ich schließlich über einen Umweg nach Kranjska Gora gekommen war, stand sie aber wieder im Raum – und das als anspruchsvollere, interessantere Unternehmung als noch vor ein paar Tagen. Als Berg- und Skitour auf den Jalovec, der nur unwesentlich niedriger als der Triglav ist, für viele aber als der schönste Berg Slowenien gilt, für manche sogar als der schönste der Welt. Am Tag davor hatte ich ihn zum ersten Mal gesehen. Auf einem Abstecher von Kranjska Gora nach Trenta, den Vrsic-Pass hinunter. Ein stolzer Berg, doch kein Angeber, so war er mir im ersten Moment vorgekommen. Einer, der seine Schwierigkeiten nicht anhand sofort ins Auge springender Steilwände ausstellt. Vielmehr ein Berg, der einem erst im wiederholten Hinsehen die Frage stellt, wo denn eigentlich gehbare Routen auf ihn hinauf führten. Während seine mit Schnee bedeckten Flanken einem immer steiler vorkommen, und immer schöner.

Unmöglich für mich, ihn allein zu begehen, vor allem unter – wenn auch bereits Mitte Mai – winterlichen Bedingungen. Mit all den Stahlseilen und verschraubten Sicherungen unter dem Schnee. Mit einem Bergführer war das jedoch etwas anderes. Und einmal mit dieser Idee im Kopf kam ich davon letztlich auch nicht mehr los.

So gingen wir am 16. kurz nach fünf Uhr von der Tatar-Hütte los. Mit Tourenschi am Rucksack, sowie Helm, Klettergurt, Steigeisen und Pickel. Noch vor den ersten Sonnestrahlen klebten wir im Talschluss die Felle auf die Laufflächen, setzten die Helme auf und gingen das Schneefeld hinauf. Bald war es so steil, dass es nur mehr in Spitzkehren weiter ging. Über uns dabei die ganze Zeit jene schmale, Schnee bedeckte Rinne zwischen den Felsen, von der ich mir schon von der Hütte aus nicht vorstellen hatte können, wie man hier hinauf gelangen sollte, geschweige denn hinunter. Im Näherkommen wurde das auch nicht anders. Und das nicht nur für mich, sondern auch für den Bergführer, dessen Plan gewesen war, auch die Rinne noch mit den Schi zu bewältigen, sie erst auf dem Sattel dahinter, dann auf gut 2300 Höhenmeter, vor dem technisch nicht leichten Schlussanstieg abzuschnallen. Nur war für ihn nicht die Steilheit Grund, sie früher schon auf dem Rucksack festzuzurren, sondern Lawinenkanäle, die das schmale Schneeband zerfurchten.

Berg- und Skitour auf den Jalovec
Foto: Prinz



Doch während die Fahrt hinunter dann mit jener Leichtigkeit gelingen sollte, wie sie einem das Schifahren wie kaum ein anderer Sport schenkt, sollte sich die Frage nach dem Hinunter im Schlussabschnitt noch einmal ganz anders stellen. Trotz des kundigen Bergführers. Denn in den Schneehängen zum Gipfelgrat hinauf, die bald zu Wänden wurden, half auch der Bergführer voran nichts, wenn sich angesichts der Tatsache, dass es nur mehr die Vorderspitzen der Steigeisen waren, die in Schnee und Eis Halt gaben, die Frage nach dem Hinunter nur mehr verdrängen ließ. Und weiter oben, wo die nach Nordwesten abfallende Flanke neben den eigenen Schritten einen Tiefblick von knapp tausend Meter öffnete, nicht einmal das half.

Dennoch, und natürlich gerade deswegen, passierte am Jalovec kein Fehltritt. Sondern erst am nächsten Tag. Nachdem ich noch überlegt hatte, mein Zelt gleich beim Dreiländereck aufzustellen, es angesichts der Regenwolken des Mittelmeertiefs und eines immer stärker werdenden Winds dann aber doch bleiben ließ und die Forststraße nach Seltschach hinunter ging.

Ein unaufmerksamer Moment, oder vielleicht ein Geröllbrocken auf der Straße, vermutlich jedoch einfach einer jener Momente, in denen einem alles andere als der nächste Schritt durch den Kopf geht, war es gewesen. Und schon hatte ich überknöchelt.

Eine Sekunde länger auf dem Bein, und es wäre einiges gerissen, vermutlich sogar gebrochen. Der Bruchteil einer Sekunde hätte gereicht, das spürte ich sofort. Doch es ist nichts gerissen, nichts gebrochen. Ein wenig gestaucht und etwas überdehnt ist das Gelenk. Und bei normalem Gehen auch völlig schmerzfrei. Wie es mit dem Rucksack ist, werden nach einer Wochenends-Pause die nächsten Tage zeigen. Ganz sicher aber wird es nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich auf dieser Reise Glück brauche. (Martin Prinz)