Wien – "Ich kann nicht alle retten", soll eine Ärztin des Psychosozialen Notdienstes zu Alexandra A. gesagt haben, als diese im Dezember 2005 bei der Einrichtung des Psychosozialen Dienstes (PSD) angerufen hat. Frau A. hat gemeinsam mit ihren betagten Eltern ihre psychisch kranke Schwester über viele Jahre betreut. Diese litt an einer manisch-depressiven Psychose, war nach Suizidversuchen auch dreimal stationär im Otto-Wagner-Spital untergebracht worden. Als es der Frau im November 2005 wieder schlechtging – die beiden Schwestern lebten damals mit den Eltern in einer gemeinsamen Wohnung –, nahm Frau A. mit dem PSD-Ambulatorium im zweiten Bezirk, wo ihre Schwester betreut wurde, Kontakt auf und bat um Hilfe. Die Antwort: Man könne nichts machen, wenn die Schwester nicht freiwillig in die Ambulanz komme. A.: "Man hat uns gesagt, wir sollten sie verwöhnen und bemuttern." Am 26. November wandte sich die Juristin an den Notdienst des PSD im neunten Bezirk, weil sie ihre Schwester in einem völlig verwirrten Zustand angetroffen hatte. Sie bat erneut den diensthabenden Arzt um Hilfe. Der Psychiater konstatierte, dass sich ihre Schwester in einem akuten psychotischen Zustand befinde und suizidgefährdet sei und bestellte diese für den darauffolgenden Tag zum Notdienst.

Mehrmals um Hilfe gebeten

Als sich die Schwester weigerte, hinzufahren, fragte Frau A., ob jemand persönlich Nachschau halten könne. Eine Ärztin sprach daraufhin am Telefon mit ihrer Schwester und erklärte im Anschluss, dass diese recht vernünftig klinge. Eine Einweisung in eine psychiatrische Abteilung könne nur erfolgen, wenn ihre Schwester sich selbst oder andere gefährde. Sie selbst sollte zur Angehörigeberatung gehen, weil sie so nervös sei, riet die Ärztin Frau A. noch.

Auch an den darauffolgenden Tagen nahm A. immer wieder Kontakt zum PSD auf. Am 2. Dezember, einem Freitag, erkannte schließlich eine Ärztin beim Notdienst die akute Situation und schlug den Kollegen die sofortige Einweisung der Frau vor – per Fax, das die Ärzte im Ambulatorium im zweiten Bezirk am Montag erhalten würden. Doch am 3. Dezember fand Frau A. ihre Schwester tot in ihrem Zimmer. Sie hatte eine Überdosis Medikamente genommen.

Stephan Rudas, der Chefarzt des PSD, kann zu dem konkreten Fall nichts sagen. "Ich versichere der Angehörigen aber, dass allen Vorwürfen nachgegangen wird, wenn sie sich an uns wendet." Dem Arzt, der ihre Schwester ambulant betreute, hat A. von deren Suizid berichtet. "Es tue ihm sehr leid", erzählt sie, habe dieser gesagt. Für Sigrid Pilz, die Gesundheitssprecherin der Wiener Grünen, zeigt der Fall, dass bei der ambulanten psychiatrischen Versorgung "überkommene Strukturen herrschen". Sie fordert, dass die "aufsuchende Arbeit" in den Vordergrund gerückt werde. Was die Untersuchungskommission zu Psychiatrie betreffe, sei es "völlig falsch, dass der PSD ausgenommen wird", betont Pilz. (Bettina Fernsebner-Kokert/DER STANDARD-Printausgabe, 21.5.2008)