Augen zu und durch: J Mascis in der Arena.

Foto: Fischer
Wien – Man muss schon eine ordentliche Portion Selbstvertrauen besitzen, um eine Band wie Awesome Color als Vorband mit auf Tour zu nehmen. Das US-Trio wütet und lärmt in der Tradition der Seattle-Grunger Mudhoney und hat mit Allison Busch eine Frau am Schlagzeug sitzen, von der man sich nicht die Hand auflegen lassen möchte. Nicht nach dieser Vorstellung!

Wie ein Berserker unterfütterte Busch am Montag in der Wiener Arena die in all ihrer Heftigkeit immer auch Melodien einbauende Gitarrenarbeit von Derek Stanton und den auch nicht gerade zurückhaltend gezupften Bass von Michael Troutman. Awesome Color führten so einem leidlich ausgeweideten Genre herz- und auch ein wenig rüpelhaft junges Blut zu und bereiteten den Weg für das zweite Trio des Abends: Dinosaur Jr. aus der Generation der Erfinder dieser Musik.

Dinosaur Jr. um den phlegmatischen Sänger und Gitarristen J Mascis stammt aus Massachusetts und kreierte in den 80ern einen Stil, der sich einerseits bei der getriebenen Wucht des Hardcore, andererseits bei großen Alten wie Neil Young Anleihen holte und etwa schon wieder Gitarrensoli spielte, als diese den damaligen Gegenkulturregeln nach noch wegen Virtuositätsverdachts mindestens strengstens verboten waren.

Phlegma Mascis war natürlich auch das egal, und er schuf mit der seit einigen Jahren wiedervereinten Originalbesetzung der Band eines der besten Rockalben aller Zeiten: You’re Living All Over Me von 1987.

Als wenige Jahre später diese Musik als Grunge mainstreamtauglich wurde, galten Dinosaur Jr. als wesentliche Wegbereiter, die noch bis in die 90er hinein aktiv waren. Seit ihrer Reunion tourt das Trio erfolgreich durch die Welt und hat im Vorjahr ein neues Album, Beyond betitelt, eingespielt, das nahtlos an alte Qualitäten anschloss.

Live wurde der typische Sound der Band, ein durch Effektgerätschaft beschleunigter Gitarrensturm zu den manischen Beats von Drummer Murph und dem hämmernden Bassspiel Lou Barlows, mit einer Mischung aus Irrsinn und Teilnahmslosigkeit gegeben. Wobei die Teilnahmslosigkeit in Mascis Wesen begründet liegt und also einen wesentlichen Bestandteil des seltsamen Charmes dieser Band ausmacht, die hier nicht nur vor Zeitzeugen, sondern auch etlichen Nachgeborenen vorführte, warum ältere Semester bei Erwähnung des Namens Dinosaur Jr. feuchte Augen kriegen.

Mascis, ein mehr nölender als singender Sänger und Hamburger-Friedhof mit schlurfendem Schritt, verbarg sich hinter seiner friedhofsblonden Schnittlauchmatte und tobte trotz kultivierter Laxheit durch einige der besten Rocksongs der letzten 25 Jahre: Little Fury Things, Freak Scene, Feel the Pain – und eine Coverversion von Just Like Heaven von The Cure.

In ebenjenem "heaven" jubilierte dann auch der ganze Saal – feuchten Auges. (Karl Fluch, DER STANDARD/Printausgabe, 28.05.2008)