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Der schier unstillbare Durst von Landwirtschaft und Ölförderung macht Wasser zur Mangelware.

Foto: Reuters
Chicago - Kinder toben kreischend in den Wellen, am Holzsteg warten Angler darauf, dass die Barsche beißen, am Kai stehen Touristen Schlange für eine Bootsfahrt in den Sonnenuntergang. Nichts scheint die plätschernden Urlaubsfreuden hier am Lake Michigan zu trüben, dem größten Süßwassersee der USA am am Rande der Metropole Chicago. Doch der Schein trügt. Nirgends weiß man das besser als bei der nur ein paar Straßenzüge entfernten Chicago Mercantile Exchange (CME) - der weltweit innovativsten und dynamischsten Rohstoffbörse.

Laut CME-Chef Craig Donohue besteht im mittleren Westen der USA ein ernsthaftes Wasserproblem. Zum einen bauen Farmer immer mehr Weizen und Mais an, um die Nachfrage nach Ethanol zu sättigen: Die Herstellung von einem Liter "Biosprit" verschlingt 4560 Liter Wasser. Zum anderen benutzen Erdölfirmen im kanadischen Alberta Unmengen von Wasser, um Ölsande nutzbar zu machen: Deren Gewinnung ist kompliziert, lohnt sich aber, seit die Ölpreise durch die Decke gehen.

Neue Märkte braucht die Wall Street. Die Hochfinanz wittert in diesen für Umweltschützer beängstigenden Szenarien einträgliche Geschäfte. Da Wasser immer knapper wird, steigt der Bedarf nach guten, liquiden Instrumenten zur Absicherung des Rohstoffes. Wasser könnte bald als marktgängiges Produkt über Futures verteilt werden. CME-Chef Donohue hat bereits verlauten lassen, dass seine Börse die Möglichkeit von Kontrakten auslotet und den Markt gerne beherrschen würde.

Als Vorbild dient den Amerikanern Australien, wo schon ein begrenzter Markt für Wasserrechte besteht. Die Bauern im von schweren Dürren heimgesuchten Gebiet am Oberlauf des Murray River handeln bis zu einem Drittel ihrer Bewässerungsvorräte. Die Preise variieren zwischen 100 und 800 Dollar pro Megaliter (1 Million Liter).

Wasserspeicher Getreide

Die Finanzspekulationen gehen weit über direkte Wasserkontrakte hinaus. Auch der Handel mit Agrarprodukten erweist sich zunehmend als Geschäft mit virtuellem Wasser. Da es einer Million Liter Wasser für eine Tonne Getreide bedarf, ist es für viele Staaten billiger, fertige Produkte zu importieren. Ägypten führt die Hälfte seines Getreides ein, Israel nahezu 90 Prozent. "Wer heute mit Weizen-Futures handelt, muss sich auch mit dem Wassermarkt genauestens auskennen", fasst der Rohstoffexperte Jim Rogers zusammen.

Die Agrarwirtschaft ist weltweit der größte Wasserverbraucher. Doch auch die klimawandelbedingte Eisschmelze fordert ihren Tribut. Nach Berechnungen Chinas werden 2016 zwei Drittel der Gletscher der tibetischen Hochebene verschwunden sein. Dadurch verringert sich das Wasseraufkommen in den asiatischen Flüssen, mit entsprechenden Folgen für die Lebensmittelversorgung: China und Indien stellen die Hälfte der globalen Reisproduktion.

Ein Konsortium aus Shell, Coca-Cola und Pesic hat eine dreijährige Studie gesponsert, um die künftige Verfügbarkeit des kostbaren Nasses zu untersuchen. Die Schlussfolgerung: Mittlerweile lebt die Hälfte der Erdbevölkerung in Gegenden, wo sich die verfügbaren Süßwassermengen stetig reduzieren. Ohne besseres Management werden Mitte dieses Jahrhunderts vier Milliarden Menschen unter chronischem Wassermangel leiden. Mögliche Folgen: Eine Rückkehr der Cholera nach Europa, Massenmigrationen in Afrika und ein Crash der boomenden asiatischen Volkswirtschaften.

Lester Brown, Gründer und President des Earth Policy Institute, rät, in Firmen zu investieren, die die Erschließung zusätzlicher Süßwasserressourcen revolutionieren wollen, "sei es durch Meerwasserentsalzung oder Abwasserreinigung". "Die bisherigen Methoden sind so energieaufwändig und teuer, dass das Verteidigungsministerium die Entwicklung von Alternativen unterstützt", erklärt Michael Hightower von den Sandia National Laboratories in New Mexico. Das zum Rüstungskonzern Lockheed Martin gehörende Institut will durch Arsen und Viren belastete Gewässer mittels Bakterien und Sonnenlicht sauber filtern.

Aber es geht auch einfacher. "Wo und wann Regen fällt und was damit passiert, ist entscheidend für Gesundheit und Wohlstand der Menschheit", sagt Jeffrey Sachs, Umweltberater von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Sein Beispiel: Eine Initiative chinesischer Bauern, die Teiche und unterirdische Auffangbecken für Regenwasser gebaut haben und ihre Ernte dadurch zwischen 20 und 50 Prozent steigern konnten. (Beatrice Uerlings, Chicago, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.5.2008)