Die meisten Wiener sind offenbar überzeugte Stadtpflanzen. Die Nachfrage nach Wohnraum in innerstädtischen Bezirken steigt jedenfalls ständig. Gleichzeitig entsteht am Stadtrand in den nächsten Jahren auch eine ganze Reihe neuer Wohnsiedlungen. Und das ist gut so: Wien wird nämlich mächtig wachsen. In 30 Jahren leben in der Bundeshauptstadt laut Demografen so viele Menschen wie zuletzt zu Kaisers Zeiten. Und obwohl die Lebenserwartung der Menschen steigt, sollen dank Zuwanderung 2050 in keinem anderen Bundesland so wenige über 60-Jährige leben wie in der Zwei-Millionen-Metropole Wien.

Wo werden all diese Menschen wohnen? Die Stadtregierung hat eine ganze Reihe von Stadtteilen zu "Entwicklungsgebieten" erklärt. In Liesing, Rothneusiedl, in Donaufeld und am Flugfeld Aspern sollen in den nächsten zehn Jahren neue kleine Städte mit funktionierender Infrastruktur entstehen.

Ein Gutteil der künftigen Stadtbewohner wird allein leben. Die Zahl der Singlehaushalte liegt in Wien derzeit bei 46 Prozent, Tendenz stark steigend. Singles wohnen anders als Großfamilien - moderner Wohnbau bedeutet auch, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der künftigen Bewohner einzugehen. In Wien gibt es inzwischen drei "Frauen-Werkstädte", also Wohnprojekte, die speziell auf den weiblichen Teil der Bevölkerung zugeschnitten sind. In Floridsdorf, Favoriten und in der Donaustadt leben Alleinerzieherinnen, ältere Frauen und junge Paare unter einem Dach.

Neue Rad-Stadt

Eine weitere "Special-Interest"-Siedlung entsteht derzeit auf dem 75 Hektar großen Gelände des alten Nordbahnhofs am Praterstern. In die "Bike-City" werden Stadtmenschen ziehen, die sich am liebsten unmotorisiert auf zwei Rädern fortbewegen. Weil man wesentlich weniger Autostellplätze errichtet als in herkömmlichen Wohnbauten, bleibt mehr Platz für Fahrradabstellanlagen, Werkstätten und Entspannungsbereiche. Im Juli wird die Rad-Stadt laut Planungsstadtrat Rudolf Schicker fertig sein. Die "Bike City" ist ein rot-grünes Gemeinschaftsprojekt, eine ähnliche Siedlung - in der die Bewohner allerdings gänzlich auf Autos verzichten - existiert bereits in Floridsdorf.

Sabine Gretner, Planungssprecherin der Wiener Grünen, wünscht sich weitere, auf die junge städtische Klientel zugeschnittene Wohnprojekte. Ihr schwebt eine "Family-City" mit Gemeinschaftsräumen, Werkstätten und Kinderspielplätzen vor. "Aus den Erfahrungen in der autofreien Siedlung wissen wir, dass sich in Wohnprojekten mit großem gemeinschaftlichen Zusammenhalt Alltagsprobleme von Familien leichter bewältigen lassen", sagt Gretner. Außerdem könne man so auf aktuelle Entwicklungen wie die steigende Zahl an Patchworkfamilien, Alleinerziehenden und an pflegebedürftigen älteren Familienmitgliedern reagieren.

In der Bundeshauptstadt folgen jedenfalls sämtliche stadtplanerischen Konzepte dem Grundsatz, möglichst wenige Stadtbewohner an den sogenannten Speckgürtel zu verlieren. Um zu verhindern, dass stress- und lärmgeplagte Wiener in das wesentlich ruhigere niederösterreichische Umland ziehen, werden die neuen Stadtteile mit so viel Grünraum wie möglich ausgestattet.

Aber auch dieser Ansatz birgt mitunter Konfliktpotenzial: Wer vor Jahren wegen der schönen Aussicht an den Wiener Stadtrand gezogen ist, wohnt jetzt plötzlich unfreiwillig wieder urban. (Martina Stemmer, DER STANDARD/Spezial - Printausgabe, 30. Mai 2008)