Mailand - Italien ist neben Österreich das einzige Land, welches den Atomausstieg voll durchgezogen hat. Nun will die Regierung Berlusconi neuerdings Atomenergie wieder einführen. Der Ministerrat soll bereits zur Wochenmitte einen entsprechenden Gesetzesentwurf verabschieden. Die Streitfrage geht derzeit nicht darum, ob Nuklearenergie wieder salonfähig wird, sondern wann und wo die neuen Atomkraftwerke stehen sollen.

Industrieminister Claudio Scajola will mit dem Bau der AKWs in den nächsten fünf Jahren beginnen. Während die Regierungsmitglieder der Lega Nord dafür stimmen, dass Atomkraftwerke mit italienischer Beteiligung im Ausland entstehen sollen, drängt der Industrieminister auf italienische Standorte. Regierungschef Silvio Berlusconi bestätigte am Wochenende vor Unternehmenskreisen, dass die Wiedereinführung der zivilen Nutzung von Atomenergie zu den vorrangigen Aufgaben zähle. Das Anliegen soll bereits bei der Ministerratssitzung zur Wochenmitte diskutiert werden.

Umfrage

Eine von dem Universitätsprofessor Renato Mannheimer durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass 62 Prozent aller Befragten für die Wiedereinführung der Nuklearenergie seien. Gut ein Drittel der Befragten sprach sich für AKWs im Ausland aus. So beteiligt sich etwa der halbstaatliche Stromkonzern Enel an dem Bau des französischen Stromreaktors ERP. Enel ist auch bei der Modernisierung der Atomkraftwerke in der Slowakei engagiert.

Enel-Chef Fulvio Conti hat kürzlich einen Investitionsplan veröffentlicht, wonach bis 2020 vier neue AKWs in Italien entstehen sollen. Ein Konsortium, an dem Enel, Edison, Sorgenia (Verbund) und lokale Energieversorger beteiligt sind, soll die Verantwortung der neuen Atomkraftwerke dritter Generation übernehmen. Durch die Wiedereinführung von Atomenergie sollen vor allem die überdurchschnittlich hohen Strompreise in Italien gesenkt werden.

Inzwischen schüren die Medien die Angst vor Stromausfällen. Die italienische Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore berichtete, dass es in Italien infolge seiner hohen Abhängigkeit von Erdgas bereits im kommenden Winter zu Stromausfällen kommen könnte. Rund 50 Prozent des italienischen Energiebedarfs werden durch importiertes Erdgas gedeckt. Rund ein Drittel des Gases stammt aus Russland. (Thesy Kness Bastaroli, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.6.2008)