Sprachschöpfer: Jacques Rancière

Foto: Passagen Verlag

Wien – Wer den Teufel beschreiben will, muss einigen Aufwand treiben. Schwefelwolken und ein Bocksfuß reichen da nicht aus, es braucht ein Zusammenspiel "der Bilder eines Turms, eines Erzengels, der hinter Nebeln aufgehenden Sonne, aus dem Fall von Monarchen und dem Umsturz von Königreichen". So sah das Edmund Burke, ein bekannter Denker des Ästhetischen, den heute meist nur noch Spezialisten lesen.

Im 20. Jahrhundert haben sich die Dinge deutlich verschoben. Es waren die Menschen, die Teuflisches getan haben, und die Bilder dieser Schrecken sind nicht einfach eine Frage des ästhetischen Aufwands. Sie sind zu einem Problem geworden. Es gibt Ereignisse, die als "undarstellbar" gelten. Wer mit der Kamera in eine (nachgebaute) Gaskammer geht wie Steven Spielberg, verletzt ein intellektuelles Bilderverbot.

Für den französischen Philosophen Jacques Rancière, der heute, Mittwoch, auf Einladung des Passagen Verlags und des Mumok zum Thema "What Makes Images Unacceptable?" einen Vortrag hält, führen die Debatten um diese Bilderverbote mitten ins Zentrum seines eigenen Denkens. Er glaubt nämlich nicht mehr an die klassische Übereinstimmung, dass jedem Gegenstand eine bestimmte Form entspricht und dass nur in dieser Entsprechung die richtige Repräsentation zustande kommt. "Man könnte sogar sagen, dass das Undarstellbare genau hier ruht, in dieser Unmöglichkeit einer Erfahrung, sich selbst in ihrer eigenen Sprache zu sagen. Doch diese prinzipielle Identität des Eigenen und des Uneigenen ist das Kennzeichen des ästhetischen Regimes der Kunst."

Mit der Unterscheidung zwischen einem repräsentativen und einem ästhetischen Regime hat Rancière nicht nur der Kunstkritik enorm weitergeholfen. Er hat auch Raum für ein neues Verständnis des Politischen geöffnet.

In Versuchen, die Wirklichkeit als Objekt und die Politik als deren Bearbeitung zu verstehen, sieht Rancière ein veraltetes Modell. Das Politische taucht vielmehr immer dort auf, wo sich etwas nicht ausgeht – er hat dafür den Begriff vom "Unvernehmen" ("mésentente") geprägt. In der besten Tradition französischer Philosophie ist Rancière ein sprachschöpferischer Denker. Er prägt im Zweifelsfall einen neuen (schwierigen) Begriff, als mit einem alten ein weiteres Missverständnis zu riskieren.

Die Freiheit nimmt er sich auch, weil er aus den Erfahrungen von 1968 andere Konsequenzen gezogen hat als viele Kollegen. 1940 in Algiers geboren, gehörte er um 1965 in Paris zum Kreis von Louis Althusser. Man las gemeinsam Das Kapital (woraus das berühmte Buch Lire le Capital entstand). Die Erfahrungen des Generalstreiks und das Bündnis zwischen Intellektuellen und Arbeitern empfand Rancière als befreiend. Er ließ sich später auch nie auf eine Denunzierung der politischen Erfahrungen jener Zeit ein, sondern zog daraus Konsequenzen, die sich als radikaldemokratisch beschreiben lassen.

Die schiere Menge französischer Theoriebildung nach 1945 brachte es mit sich, dass Rancière lange Zeit im Schatten von Jacques Derrida oder Gilles Deleuze stand. Nun aber wird er vor allem vom Kunstbetrieb geradezu euphorisch gelesen, worauf er seinerseits mit intensiver Produktion reagiert.

Unter anderem schreibt er auch immer wieder Filmkritiken, weil er in dem technischen Medium ein perfektes Beispiel für das ästhetische Regime erkennt: Die Kamera nimmt immer mehr auf, als das Bewusstsein verarbeiten kann. Der Teufel wirft lange Schatten. Rancière hält dagegen die Kraft eines Denkens, das sich von Widersprüchen nicht ins Bockshorn jagen lassen will. (Bert Rebhandl, DER STANDARD/Printausgabe, 11.06.2008)