Auch nicht blöd: Schimpansin Linda hat ihre kurzfristigen Impulse unterdrückt und an die Zukunft gedacht - weshalb sie nun köstliche Fruchtsuppe saugen kann.

Foto: Lund University Primate Research Station Furuvik
Lund - Jeder Psychologe, der etwas auf sich hält, muss irgendwann einen Satz schreiben, der mit den Worten "Der Mensch ist das einzige Tier, das ..." beginnt. Das schrieb der renommierte Harvard-Psychologe Daniel Gilbert in seinem preisgekrönten Bestseller "Ins Glück stolpern" (Riemann 2006). Vor ihm hätten es Kollegen mit "... das Sprache benutzt" probiert. Oder mit "... das Werkzeuge benutzt". In beiden Fällen seien die Forscher später öffentlich von Schimpansen gedemütigt worden.

Einen Absatz später macht Gilbert selbst einen anderen Vorschlag: "Der Mensch ist das einzige Tier, das an die Zukunft denkt." Denn "solange noch kein Schimpanse beim Gedanken an das Älterwerden zu weinen anfängt oder guter Dinge ist, weil er an seinen Sommerurlaub denkt (...), bleibe ich bei meiner Version dieses Satzes."

Womöglich hat aber auch Daniel Gilbert die Intelligenz unserer nächsten Verwandten unterschätzt. Das zumindest legt eine neue Studie von Mathias und Helena Osvath nahe, die gerade in der Fachzeitschrift "Animal Cognition" (online vorab) erschienen ist.

Die beiden Forscher von der Lund Universität für Kognitive Wissenschaften in Schweden behaupten darin auf Basis von Experimenten, dass auch Menschenaffen fähig sind, vorausschauend und planend zu denken.

Als Voraussetzungen dafür werden von der Humanpsychologie Selbstkontrolle und Vorstellungskraft angesehen - "und darüber verfügen allem Anschein nach auch Primaten", so Mathias Osvath im Gespräch mit dem STANDARD. An den bahnbrechenden Experimenten, die ihn zu dieser Schlussfolgerung führten, nahmen drei Menschenaffen teil: zwei Schimpansinnen und ein Orang-Utan.

Frucht oder Suppe

Sie hatten vier verschiedene Aufgaben zu bewältigen. Zunächst zeigten die Forscher den Tieren einen Schlauch und wie dieser eingesetzt werden kann, um Fruchtsuppe herauszusaugen. Zusammen mit dem Schlauch boten sie den Affen ihre Lieblingsfrucht an, um zu testen, ob diese ihren Trieb nach sofortiger Belohnung (ihre Lieblingsfrucht) zugunsten der Möglichkeit auf eine größere Belohnung (dem Schlauch und die Fruchtsuppe) unterdrückten, die sie erst nach 70 Minuten erhielten.

Tatsächlich entschieden sich die Affen häufiger für den Schlauch als für ihre Lieblingsfrucht. Hierdurch konnte nachgewiesen werden, dass sie durchaus in der Lage sind, zukünftigen Bedürfnissen den Vorrang vor einer unmittelbaren und buchstäblich naheliegenden Belohnung zu geben.

In weiteren Versuchsreihen wurden den Tieren dann neue Gegenstände vorgeführt, die den Affen bis zu diesem Zeitpunkt unbekannt waren: ein Gegenstand, der ähnlich wie der Schlauch funktionierte, und zwei andere Objekte. Die Affen wählten den neuen funktionalen Gegenstand, den sie entsprechend nutzten. "Das zeigt, dass auch Menschenaffen planen und ein künftiges Ereignis vorwegnehmen können", so Osvath.

Bedeutsame Konsequenzen

Wie bedeutsam diese Erkenntnis ist, zeigt sich auch daran, dass der Begutachtungsprozess der Studie sieben Monate dauerte. "Wir mussten den Artikel wieder und wieder umschreiben. Aber jetzt ist er niet- und nagelfest", so Osvath, der zum einen auf die enormen philosophischen und psychologischen Implikationen der Studie hinweist. "Denn für das Planen braucht es komplexe mentale Fähigkeiten, und so etwas wie ein inneres Bewusstsein." Das dürften eben auch Menschenaffen besitzen.

Zum anderen seien die Ergebnisse ein Hinweis darauf, dass zentrale kognitive Fähigkeiten sich viel früher in der Evolution herausgebildet haben als bisher angenommen, so Osvath, der mit ähnlichen Fragestellungen an Delfinen und Rabenvögel weiterforscht.

Daniel Gilbert wiederum wird sich wohl ein anderes Satzende ausdenken müssen. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. 6. 2008)