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Irlands Premier Brian Cowen (links) berichtete EU-Kommissionschef José Manuel Barroso am Donnerstag über die Lage nach dem Referendum.

Foto: REUTERS/Yves Herman
Bis Oktober wird die EU Irland ein Paket mit Nachbesserungen präsentieren, das eine neuerliche Abstimmung über den Vertrag von Lissabon ermöglicht. Dieser Weg aus der Krise zeichnete sich am ersten Tag des EU-Gipfels ab.

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Nach dem derzeit geltenden Vertrag von Nizza muss die nächste EU-Kommission, die ab November 2009 im Amt ist, aus weniger Mitgliedern bestehen, als die Union Mitgliedstaaten hat. Aus wie vielen Kommissaren ist nicht geregelt.

Der mit dem Nein zurzeit hinfällige Vertrag von Lissabon hätte die Verkleinerung der Kommission auf 2014 verschoben. Damit könnten die Iren mit ihrer Entscheidung vorerst das Gegenteil von dem erreicht haben, was sie wollten: unter anderem ihren EU-Kommissar zu behalten.

Hier wollen nun die Strategen im EU-Rat und in der Kommission ansetzen: Während der Vertrag von Nizza nicht entsprechend verändert werden kann, ohne von allen Mitgliedstaaten erneut ratifiziert zu werden, sieht der Vertrag von Lissabon vor, dass die Staats- und Regierungschefs einstimmig eine Veränderung der Anzahl der Kommissare beschließen können.

Das Angebot an Irland könnte also lauten: Der EU-Rat nimmt Abschied von der Verkleinerung der Kommission und garantiert jedem Staat weiterhin seinen Kommissar. Die irische Regierung könnte also eine zweite Abstimmung, die im März 2009 stattfinden könnte, damit verkaufen, den irischen Kommissar "gerettet" zu haben. Dazu könnten noch einige andere Zusicherungen kommen, die durch den Vertrag gedeckt, aber nicht explizit erwähnt sind: Der Schutz der irischen Neutralität und kein EU-Einfluss auf das irische Familienrecht zum Beispiel.

All das ist ohne Änderung des Vertrags möglich und würde ei- ne der Kernbedingungen erfüllen, die unter anderen Frankreich, Deutschland und Großbritannien bereits an eine Lösung stellen: Der Vertrag wird nicht aufgeschnürt, es darf keine neuen Verhandlungen geben. Denn diese würden dann eine völlig neue Ratifizierungsrunde nötig machen.

Vor allem die Probleme in Tschechien und Polen mit der Ratifizierung des derzeitigen Vertrages würden die Lage dann verschärfen. "Eine zweite Abstimmung ist die einzige Lösung", sagte ein hoher Diplomat in Brüssel zum Standard.

Das sieht offenbar auch der kommende Ratspräsident, Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy, so. Der Präsident werde dies beim Gipfeltreffen vorschlagen, schrieb Le Figaro. "Das ist gut möglich", meinte dazu ein französischer Diplomat.

Über den aktuellen Umgang mit der EU-Krise gibt es allerdings alles andere als Einigkeit. Tschechien spricht sich dafür aus, keinen Druck auszuüben und sich Zeit zu lassen. Eine geplante Gipfelerklärung, der zufolge alle acht Staaten, die noch nicht ratifiziert haben, dies rasch und effizient "nachholen", wird, wie berichtet, von Prag blockiert. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach sich hingegen dafür aus, dass die Arbeiten an der Ratifizierung des EU-Reformvertrags rasch weitergehen würden. So sei die Zustimmung des britischen Oberhauses "ein Schwung" für den weiteren Ratifizierungsprozess. Es bedürfe aller 27 EU-Staaten, um über den geltenden Nizza-Vertrag der EU hinauszukommen, sagte sie.

Irlands Premier Brian Cowen betonte, es wäre noch "viel zu früh", um irgendwelche Vorschläge zur Lösung der Krise zu machen. Irland brauche Zeit, um das Ergebnis des Referendums zu analysieren. Cowen unterstrich erneut, die irische Entscheidung müsse akzeptiert und respektiert werden.

Dezidiert eine Lösung bis Oktober forderte der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker: "Ich gehe davon aus und werde in Brüssel auch vorschlagen, dass der französische Präsident sämtliche Lösungsvorschläge bündelt und die EU im Oktober den Ausweg festschreiben wird." (Michael Moravec aus Brüssel/DER STANDARD, Printausgabe, 20.6.2008)