Oeuilly - "Sehen Sie den Hang dort drüben am Waldrand? Der liegt seit den Fünfzigerjahren brach und gäbe einen idealen Weinberg ab", meint Benoît Tarlant. "Aber wir wollen nichts überstürzen", fügt der 32-jährige Winzer sogleich an. Er weiß, dass die Nachfrage für neue Anbauflächen so groß ist wie der Druck in einer Champagnerflasche. Die Winzer der Champagne-Gegend zwischen Paris und der Grenze zu Belgien kommen mit den Bestellungen längst nicht mehr nach.

"Wir können heute mit den Anfragen aus der ganzen Welt nicht mehr Schritt halten", meint der Jungwinzer, dessen Familie in Oeuilly auf 14 Hektar - und seit 1687 - Reben anbaut. Die Anbaufläche der ganzen Champagne ist seit 1927 auf knapp 34.000 Hektar beschränkt. Aus den Trauben der drei Champagner-Rebsorten Pinot Noir, Chardonnay und Pinot Meunier wird heute der letzte Tropfen gepresst: 2007 wurde mit 339 Mio. Flaschen ein neuer Produktionsrekord aufgestellt. Den großen Handelskonzernen wie Moët et Chandon (Teil des Luxuskonzerns LVMH) genügt das aber nicht mehr. Denn immer mehr Russen, Inder kommen in Champagnerlaune; in China stieg die Nachfrage im Vorjahr gar um 30 Prozent.

Einziger Ausweg: die Anbaufläche vergrößern. Doch die 5000 Champagne-Winzer haben es nicht eilig. "Die großen Handelskonzerne wollen mehrere Stufen auf einmal nehmen", sagt Jean-Mary Tarlant, der Vater von Benoît. "Wir Landwirte überlegen uns lieber im Voraus jeden Schritt." Ihnen geht es nicht um den schnellen Gewinn wie den großen Marken Moët et Chandon oder all den US-Pensionskassen, die zunehmend in die lukrative Champagnerbranche investieren.

Teures Rebland

Der Verband der Champagner-Weinbauern bestellte fünf Experten, einen Geologen, einen Historiker, einen Klimatologen, einen Önologen und einen Bewässerungsfachmann. Sie klapperten die ganze Gegend monatelang auf geeignete Böden ab. Fazit: Zu den bestehenden 319 Gemeinden sollten vierzig weitere das Champagner-Label erhalten; zwei Dörfer sollten es verlieren.

Auch für die Winzer geht es um viel Geld. Normales Agrarland ist in der Champagne heute für rund 3000 Euro pro m2 zu haben. Wird es als Rebland eingestuft, schießt sein Preis ums Dreihundertfache in die Höhe, kann der Preis eine Mio. Euro übersteigen.

Das hatten viele nicht vorhergesehen. "1927, als die Flächen erstmals verteilt wurden, hatten viele Dörfer von sich aus auf die Pflanzung von Reben verzichtet", erzählt Jean-Mary Tarlant. "Damals erholte sich der Weinbau gerade erst von der Reblaus-Katastrophe, und generell fürchtete man sich vor der aufziehenden Weltwirtschaftskrise."

Heute, da das Geschäft boomt, wollen alle Weinbau betreiben. Jedenfalls mehr als nur die auserkorenen 40 Gemeinden. Ab sofort dürfte es Rekurse gegen das Auswahlverfahren hageln, "die Einsprüche können Jahre in Anspruch nehmen", schätzt Tarlant.

Ghislain Montgolfier, Chef des Champagner-Hauses Bollinger in Ay, ist damit einverstanden. "Ich bin sicher, dass die Reform für eine bessere Qualität sorgen wird: Während früher administrative Kriterien den Ausschlag gaben, wird nun in erster Linie die Beschaffenheit der Kalkböden oder die Sonneneinstrahlung berücksichtigt."

Ob mit der Qualität nicht auch die Preise steigen werden? "Weniger, als wenn die Anbaufläche gleich klein bliebe", erwidert der Urenkel des deutschen Firmengründers, dessen Prestigemarke unter anderem vom Agenten ihrer Majestät bevorzugt wird und in allen 007-Filmen zu sehen ist. "Die Zunahme des Angebots dürfte eher zu einer Entspannung der Preise führen." (Stefan Brändle aus Oeuilly, DER STANDARD, Printausgabe, 21./22.6.2008)