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Gerhard Meier.

Foto: dpa
Wien – Viele sahen in ihm den "Doyen der zeitgenössischen Schweizer Literatur" , oder "den wohl bekanntesten Unbekannten der deutschsprachigen Literatur" , wie es die Jury des Heinrich Böll-Preises ausdrückte. Es sind dies Zuschreibungen, welche den 1917 im Berner Dorf Niederbipp geborenen Gerhard Meier wenig interessierten. Wichtiger waren ihm Worte wie "Sorgfalt" und "Anstand" im Sinne von Zurückhaltung, für den er Joseph Roth bewunderte.

Meiers Weg zur Literatur und zum Schreiben war kein gerader. Mehr als drei Jahrzehnte arbeitete er am Fließband einer Lampenfabrik. Es waren Jahre, in denen Meier, wie er einmal in einem Interview sagte, aus Armut auf das Schreiben verzichten musste wie ein Alkoholiker auf den Schnaps. Schon früh waren drei Kinder zu versorgen. Erst nach einer schweren Krankheit wählte Meier als knapp 50-jähriger Debütant den Beruf, in dem man immer Anfänger bleibt, den Beruf des Schriftstellers.

Die Lampenfabrik allerdings, in der Meier so lange litt, kommt in seinen fünf Gedicht- und neun Prosabänden mit keinem Wort vor. Von Anfang an ging es Meier um das "Pathos des Gewöhnlichen" und die "Dramatik des Undramatischen" . Meiers Blick auf die Schwächen der Menschen war sanft, sein Einstehen für das Individuum dafür umso radikaler. Und viele schon in seinem Debüt-Gedichtband Das Gras grünt (1964) angelegten Motive, die Verlorenheit des Einzelnen etwa, der genaue Blick für das Unspektakuläre und vor allem der Mikrokosmos des Dorfes, ziehen sich auch durch sein großes erzählerisches Werk, die Baur und Bindschädler-Tetralogie (1979–1990), die vergangenes Jahr zu Meiers Neunzigstem im Suhrkamp-Verlag neu aufgelegt wurde.

Mit langem Atem erzählt Meier darin über das Leben der beiden Freunde Baur und Bindschädler, darüber, wie einer wird, was er ist, über Lektüren, den Wind auf Rügen, das Sternbild der Jagdhunde, über Vermont und die russische Tundra. Vom Getöse des Literaturbetriebs hielt sich Meier fern, nur einmal, befragt nach den beiden Großen der Schweizer Literatur, Frisch und Dürrenmatt, bezog er Stellung. Frisch sei überschätzt und Dürrenmatt ein Schlachtschiff mit vielen Kanonen an Bord. "Ich ziehe leichte Segelschiffe vor" und "Wind ist beständiger als Zellulose" . Meiers Ankunft in der Literatur, war, wie Adolf Muschg schreibt, unaufdringlich, aber unaufhaltsam, "er hat seine Leser gelassen erwarten können" .

Nun ist Gerhard Meier, einer der wichtigsten Autoren des deutschen Sprachraums, im 91. Lebensjahr gestorben. (Stefan Gmünder, DER STANDARD/Printausgabe, 24.06.2008)