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Lou Reed (re.) mit Steve Hunter (li.) und Tony "Thunder" Smith nach 2007 zum zweiten Mal mit "Berlin" auf Europatournee.

Foto: Getty
In der ausverkauften Royal Albert Hall gab es Standing Ovations.


Berlin, ein 1973 veröffentlichter, damals von Kritik und Publikum wegen seines damals unerhörten Nihilismus entsetzt aufgenommener Zyklus über Liebe, Tod und Leidenschaft in der geteilten Stadt, die sich alles andere als das Paradies herausstellte, gilt als "Konzeptalbum" . Doch Konzept ist bei Lou Reed, der zuvor mit Walk On The Wild Side seinen einzigen Welterfolg gefeiert hatte, auch Wieder- und Zweitverwertung: Der Titelsong entstammt seinem Solo-Debüt aus 1972, zwei weitere Nummern (Sad Song und Oh Jim) entstanden 1970 in der Endphase von Velvet Underground.

2003 erschien ein weiteres "Konzeptalbum" : The Raven, eine recht sperrige Auseinandersetzung mit Edgar Allen Poe. Und auch hier stößt man auf bekannte Songs: Perfect Day (1972) sowie ein brüchiges The Bed aus dem Berlin-Zyklus.

Produziert wurde The Raven von Hal Willner. Dieser Mann stellt immer wieder faszinierende Projekte auf die Beine, darunter 2004 das Tourneeprogramm mit Leonard-Cohen-Songs, Came So Far For Beauty. Und so ergab das Eine das Andere: Ende 2006 brachte Reed mit Willners Hilfe sein Berlin auf die Bühne – mit Band, Kinderchor und Orchester in einem Setting von Julian Schnabel, dessen preisgekrönter Film Schmetterling und Taucherglocke eben zu sehen war.

Nun ist Lou Reed wieder auf Tournee mit Berlin: In der Royal Albert Hall fand am Montag – Hal Willner ließ es sich nicht nehmen, dem Publikum zu erklären, dass es keine Pause geben werde – die 36. Aufführung statt. Am Freitag, 4.7., gastiert der Tross im Rahmen des Jazzfest Wien im Gasometer.

Von einer "Inszenierung" kann nicht wirklich die Rede sein. Julian Schnabel gestaltete die Bühne unaufwändig als Installation: mit einem von oben herabhängenden Sofa, The Bed eben, und bedruckten Vorhängen, die wie chinesische Tapeten anmuten. Sie dienen für verschwommene Projektionen: Lola Schnabel, des Künstlers Tochter, durfte einen Film über die zentrale Figur in Berlin beisteuern. Und weil eben, wie gesagt, das eine das andere ergibt, verkörpert Emmanuelle Seigner, die auch in Schmetterling und Taucherglocke mitspielte, die "germanic queen" Caroline – blond und unnahbar.

Eifersucht und Drogen

Die kleinen Geschichten über Eifersucht, Drogen und das Scheitern erzählt Lou Reed linear. Das Intro (Caroline feiert Geburtstag) hat er ausgebaut, das tragische Ende nimmt er vorweg, indem er den Sad Song anspielen lässt. Und von Berlin bringt er die lange Version.

Im Gegensatz zum Original-Album arbeitet er nur selten, etwa bei Caroline Says I, an der Akustikgitarre: Im altbekannten Prolo-Outfit, stocksteif, produziert er an den E-Gitarren, die ihm umgehängt werden, massive Klangwände. Bei Men of Good Fortune und ganz besonders bei The Bed macht sich das Alter bemerkbar: Den in lichte Höhen aufsteigenden Refrain "Oh, oh, oh, oh, oh what a feeling" schafft er nicht mehr; ihn überlässt er in Folge lieber dem Chor.

Mit brutaler Präzision absolvieren seine langjährigen Weggefährten Mike Rathke (Guitar), Fernando Saunders (Bass) und Tony "Thunder" Smith (Drums) sowie Steve Hunter, mit dem Lou Reed einst Berlin eingespielt hatte, das Programm: Nach dem extrem traurigen Sad Song waren Standing Ovations die logische Folge. Als Zugaben gabs Rock And Roll und Satellite Of Love. Mehr brauchte es nicht zur Glückseligkeit. (Thomas Trenkler aus London / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.7.2008)