Paulus Hochgatterer
Schriftsteller und Kinder- und Jugendpsychiater

Ich selbst habe als Kind mit meinen beiden Schwestern auf langen Fahrten mit dem Auto immer ein Spiel gespielt, bei dem es darum ging, wer die meisten roten VW Käfer, weißen Mercedes usw. sieht. Bei uns hat das gut gegen Langweile funktioniert. Bei meinem eigenen Sohn, heute 18 Jahre alt, gar nicht. Zum einen, weil er Einzelkind ist und das Spiel mit Eltern natürlich weniger Spaß macht als mit Geschwistern. Zum anderen, weil Johannes kein Interesse an Autos hat.
In der Zeit, in der kindliche Langeweile im Auto für Eltern lästig ist, also in der Vorschul- und Volksschulzeit, haben wir Pumuckl-Kassetten angeschafft.

Foto: Aleksandra Pawloff

Die Wahrheit ist: Wir selbst haben sie auch gern gehört, wir hatten die komplette Sammlung. Diese Methode hat absolut zuverlässig funktioniert, hat die Laune unseres Sohnes gehoben und auch uns Eltern fröhlicher gestimmt. Grundsätzlich bin ich aber ein Fan von Ertragen von Langeweile, auch bei Kindern. Mit unserem Sohn klappte das gut, manchmal hat er sich auch einfach hinten im Auto hingelegt, so war es für alle auszuhalten. Die Autos von heute sind ja auch wesentlich bequemer - für meine Schwestern und mich war es hinten in unserem VW Käfer ganz schön eng.

Foto: Aleksandra Pawloff

Christian Unterberger
Flugbegleiter bei Lauda Air

Ich sehe es bei meinen eigenen Kindern: Es muss von Beginn an gut laufen, dann ist Langeweile im Flieger kaum ein Thema. Bei uns startet das Ablenkungsprogramm schon am Boden. Am Gate unterhalten Kindergärtnerinnen die Kleinen mit Smilo, unserer Handpuppe. An Bord ist dann ein Flugbegleiter oder eine Flugbegleiterin für die Kinder zuständig und lässt sie sich aus einer Spielzeuglade bedienen.
Unterwegs besuchen wir jedes Kind mit einer Polaroid-Kamera, machen ein Foto und teilen Logbücher aus, wo das Foto eingeklebt wird.

Foto: Aleksandra Pawloff

Die größeren Kinder können im Buch Informationen über die Flugdauer, den Flugzeugtyp usw. eintragen, die sie zuerst einmal recherchieren müssen. Größere Kinder sind sowieso technisch interessiert, denen kann man dann erklären, wie eine Boeing fliegt. Klar gibt es viel zu tun, aber es ist eine schöne Aufgabe. Kinder sind toll! Nicht zum Standardprogramm gehörte einmal ein 20-minütiges Schachspiel hinten in der Küche, wo ich mit einem Zehnjährigen Schach gespielt habe. Seine Eltern hatten das Spiel an Bord gekauft, konnten es aber selbst gar nicht, und die Umsitzenden auch nicht. Da habe ich mich spontan bereit erklärt.

Foto: Aleksandra Pawloff

Elisabeth Menasse-Wiesbauer
Leiterin des Zoom Kindermuseums Wien

Ich finde, Langeweile ist gar nicht so negativ, denn Langeweile ist auch ein Zeichen für Freiheit vom Zeitkorsett. Auch Kinder sind heute immer schon so getrieben, jagen von einer Aktivität in die nächste. Langeweile bietet die Chance, einmal darüber nachzudenken, was man wirklich will.
Meine Tochter, die heute 18 ist, langweilte sich als Kind vor allem auf Fahrten, im Auto oder im Zug. Im Zug kann man sich wenigstens bewegen oder an der Gepäckablage herumturnen, aber im Auto gibt es wenig Ablenkungsmöglichkeiten.

Foto: Aleksandra Pawloff

Ich habe auf Reisen immer Geschichten erzählt, frei erfundene oder eigene Kindheitserinnerungen. Die Lieblingsfigur meiner Tochter war mein Bruder, der als Kind etwas Woody-Allen-haftes an sich hatte und leicht tollpatschig war. Geschichten ziehen Kinder immer in ihren Bann! Mit Geschichten kann man alles spannend machen, ob Wanderungen, Einkäufe oder Museumsbesuche. Das funktioniert deshalb so gut, weil man sich dabei ganz auf die Kinder einstellt. Man regt ihre Fantasie so an, dass sie selbst zum Miterzähler werden.

Foto: Aleksandra Pawloff

Sandro Balogh
Wirt und Küchenchef in Vikerls Lokal

Wir haben das Glück, dass sich unsere Töchter, sieben und vier Jahre alt, gar nicht so oft langweilen. Sehr selten entsteht bei ihnen Streit aus Langeweile. Es klappt ganz gut, dass sie sich selbst und miteinander beschäftigen, mit Spielen, Lesen, Malen, Erzählen. Das hat sich wohl so entwickelt, weil sie erfahren haben, dass wir oft nicht da sind oder nur einer von uns beiden - dann müssen sie eben miteinander gut auskommen.
Wenn den beiden unterwegs beim Spazierengehen fad wird, machen wir oft einen Abstecher auf den Spielplatz, auch ganz spontan.

Foto: Aleksandra Pawloff

Dort wird dann hingerannt, und ich werde gleich mit beschäftigt, muss zum Beispiel die Schaukel anstoßen. Gut, im Auto ist es mitunter schwieriger. Wir haben im Jänner einen Ausflug in die Steiermark unternommen, der länger gedauert hat als gewohnt. Da wurden die beiden schon ungeduldig. Aber dann bleibt man stehen, macht zehn Minuten Pause, läuft mit den Kindern ein wenig umher - und weiter geht's. Außerdem singen wir im Auto oft: Ich gebe einen Hinweis auf Kinderlieder oder Songs aus dem Radio, meine Töchter stimmen ein, so ist kurzzeitig für Beruhigung gesorgt.

Foto: Aleksandra Pawloff

Agnes Streissler
Geschäftsführerin des Zentrums für Innovation und Technologie (ZIT)

Die wichtigste Voraussetzung ist, auf Langeweile der Kinder vorbereitet zu sein. Sonst hören Sie beispielsweise auf einer Reise in den Süden spätestens am Matzleinsdorfer Platz vom Rücksitz die Frage: "Wann sind wir da?" Deshalb heißt es, Malbücher einzupacken oder Kartenspiele, die lange nicht gespielt worden sind.
Ich gehe mit meinen Kindern, sieben und acht Jahre, keinen Weg, ohne gewappnet zu sein. Unterwegs hilft es, spielerisch Dinge zu erfahren wie "Ich sehe was, was du nicht siehst" beim Gehen zu spielen.

Foto: Aleksandra Pawloff

Ob mich das nicht selbst langweilt? Ich glaube, der Stress, mit einem gelangweilten Kind unterwegs zu sein, ist so groß, da ist es besser, sich mit ihm zu beschäftigen, als sich zu fragen, ob einem selbst dabei fad ist. Bei Autofahrten haben wir uns oft so geholfen: In Tunnels durften meine Kinder ganz schnell all die Wörter aussprechen, die sie sonst nicht sagen dürfen, bei uns in der Familie "Gacka-Lulu"-Wörter genannt. Dann herrschte immer ein Riesenlärmpegel im Auto, alle haben gelacht - und der Stress war weg.

Foto: Aleksandra Pawloff

Christine Nöstlinger
Kinderbuchautorin

Meine Enkel, zehn und zwölf Jahre alt, leben in Antwerpen und reisen öfter mit dem Auto nach Wien. Früher war das eine schreckliche Angelegenheit. Aber seitdem sie DVDs schauen dürfen, über einen Player in den Rücklehnen der Vordersitze, ist das problemlos. Es hilft sogar gegens Kotzen in den Kurven.
Warum ich nicht auf die Kraft von Geschichten setze? Weil etwas anderes als DVDs nicht hilft! Mein realistischer Erfahrungswert ist, dass aus Langeweile beim Autofahren kaum Kreativität bei den Kindern entsteht - bei meinen eigenen wurden aus verbalen Streits immer Gefechte.

Foto: Aleksandra Pawloff

Damals hat am besten noch das Absingen unanständiger Lieder geholfen. Und natürlich haben wir Spiele gemacht, aber ganz ehrlich: Viel gebracht hat das nicht. Außerdem hängt der Erfolg davon ab, wie viele Erwachsene im Auto sind. Denn einer Ablenkung wie Spielen oder Rätseln muss man sich mit voller Konzentration widmen - Kinder merken sofort, wenn man nur halb bei der Sache ist. Aber wer alleine mit den Kindern unterwegs ist, muss sich ja auf den Verkehr konzentrieren. Kleinen Kindern sollte man lange Fahrten am besten gar nicht zumuten.(Mareike Müller/Der Standard/rondo/11/07/2008)

Fotos: Aleksandra Pawloff

Foto: Aleksandra Pawloff