Der streitbare Herr aus den USA, Trompeter Wynton Marsalis, ist nächste Woche in Wien (9. 10.) und Salzburg (10. 10.) mit seiner Bigband zu hören. Der passionierte Traditionalist ist aber zurzeit auch mit großen Bauplänen befasst, erfuhr
Andreas Felber
Wien - Wynton Marsalis steht zurzeit an der Spitze einer groß angelegten Fundraisingkampagne: Für satte 105 Millonen Dollar (1,7 Mrd. öS) will das Jazz-Department des New Yorker Lincoln Center, dem Marsalis als künstlerischer Leiter vorsteht, bis 2003 ein Konzertgebäude aus dem Boden stampfen, das - als erstes weltweit - ausschließlich den Präsentationsbedingungen des Jazz Rechnung trägt.
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1998:Szenen eines Nachhilfeunterrichts?
STANDARD: Jazz at Lincoln Center baut ein neues Konzertgebäude in New York? Was ist da zu erwarten? Marsalis: Es soll ein Saal-Komplex mit drei Räumen werden: einer 1100-Sitze-Arena im griechischen Amphitheater-Stil, einem Atrium für 600 Besucher, als dessen Hintergrund man über eine Glaswand die Aussicht auf den Central Park und die Skyline von Manhattan genießen kann, und einer Art Jazzclub mit 140 Stühlen, ebenfalls mit Skyline-Blick. Zumeist spielen wir in Sälen, die für unsere Musik zu viel Hall haben. Diese neuen Räume werden spezifisch für den Jazz gestaltet. Der Sound wird etwas trockener als in normalen Hallen. STANDARD: In Europa verfolgt man dieser Tage sehr interessiert die Wahlkampagnen von Al Gore und George Bush jr. Von wem wäre Ihrer Meinung nach die für Kultur vorteilhaftere Politik zu erwarten Marsalis: Von Al Gore. Ich denke, die Demokratische Partei im Allgemeinen und Al Gore im Besonderen haben sich bisher stärker in künstlerischen Belangen engagiert und werden es auch weiterhin tun. STANDARD: Bill Clinton gefiel sich darin, in der Öffentlichkeit als Saxophon spielender Jazzfan aufzutreten. Hat es dem Genre geholfen? Marsalis: Es hatte keinen großen Einfluss, aber es half mehr, als es schadete. STANDARD: Sie touren mit einem Louis-Armstrong-Programm. Armstrong hat die meisten seiner Einspielungen in kleineren Besetzungen produziert... Marsalis: Ein Orchesterprogramm bereitet deshalb keine Schwierigkeit. Louis Armstrong komponierte viel, aber seine Stärke war es, die Kompositionen zu transzendieren. Seine Herangehensweise wurde zum allgemeinen Vorbild, diesbezüglich ist sein Einfluss auch heute noch beherrschend. Wir spielen auf dieser Tour aber nicht nur seine Kompositionen. Auch Stücke von Duke Ellington, Count Basie und Thelonious Monk sind angekündigt. STANDARD: Welche Idee steht hinter dieser Mischung? Marsalis: Wir spielen einfach einen Mix aus unserem Repertoire. Eine unserer Leitlinien lautet, dass der ganze Jazz modern ist. Wir müssen nicht mit Zeitströmungen mithalten, wir sind keine Messe, im deren Rahmen man sich auf das Morgen konzentrieren müsste. Die größte Errungenschaft im Jazz ist es, wenn ein Instrumentalist oder Sänger in seinem Spiel eine individuelle, identifizierbare Persönlichkeit erreicht. Wir gehen nicht nur in eine Richtung, zum Beispiel: entweder innovativ oder nicht-innovativ. Wir haben Dinge getan, die niemand vor uns vollbracht hat. Aber dieselbe Energie investieren wir auch darin, unsere Verbindungen zu den Traditionen unserer Musik aufrechtzuerhalten. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5. 10. 2000)