Stockholm - Am Donnerstag vergeben die Juroren der Schwedischen Akademie den ersten Nobelpreis für Literatur dieses Jahrtausends. Nach der Entscheidung für den Deutschen Günter Grass im letzten Jahr könnte diesmal ein einheimischer Literat das Rennen machen. Der Lyriker Tomas Tranströmer (69), seit Jahren zusammen mit dem 72-jährigen Grass immer wieder zu den Favoriten gezählt, wird auffällig oft bei den in Stockholm nun heftig betriebenen Spekulationen genannt. Allerdings hatte der seit einem Schlaganfall schwer behinderte Tranströmer schon mal erklären lassen, er wolle den Literatur-Nobelpreis wegen der damit verbundenen Aufregungen nicht. Ob sich an dieser Haltung nun etwas geändert hat, wird bis zur Bekanntgabe des Preises durch Akademie-Sekretär Horace Engdahl am Donnerstag offen bleiben. Tranströmer gilt in Stockholm als alles überragende Gestalt der zeitgenössischen Literatur in Schweden und einer der wichtigsten Lyriker überhaupt. "Alles verläuft völlig normal" Engdahl bestritt, dass sich die Juroren der Akademie in diesem Jahr mit ihrer Entscheidung schwer getan hätten. "Alles verläuft völlig normal", meinte Engdahl, der seit zwei Jahren an der Spitze der ehrwürdigen und nach Meinung von vielen Kritikern in bizarren Ritualen und Traditionen erstarrten Akademie steht. Tatsache ist, dass zum ersten Mal seit vielen Jahren die Bekanntgabe des Literaturpreises nicht vor die der wissenschaftlichen Preise gelegt worden ist. 1999 hatte Engdahl frohgemut verkündet, das Votum für Grass in dem nominell 18-köpfigen Gremium sei "ganz außerordentlich leicht" zu Stande gestanden. Der späte Termin dieses Jahres deutet auf einen komplizierteren Verlauf. Jeder Kenner des Stockholmer "Nobelgeschäfts" weiß, dass bei der Vergabe des Literaturpreises oft ganz andre als literarische Überlegungen eine Rolle spielen. Wurden, wie jetzt, mehrfach hintereinander Romanciers ausgezeichnet, ist nach ungeschriebenen Regeln eine andere Literatursparte "dran". Ähnliches gilt für geographische Gesichtspunkte. Sollten sie dieses Jahr eine Rolle spielen, gelten in diesem Jahr die beiden afrikanischen Autoren Nuruddin Farah (54) aus Somalia und der Nigerianer Ben Okri (41) als ebenfalls aussichtsreiche Anwärter. Dasselbe für den Chinesen Bei Dao (51), der spätestens seit Mitte der 90er Jahre zu den Daueranwärtern gerechnet wird. Die das Licht der Öffentlichkeit meiden Trotz seines fortgeschrittenen Alters relativ neu unter den engsten Anwärtern ist der US-Lyriker John Ashbery (73). Ihm werden deutlich bessere Aussichten zugestanden als seinem Landsmann Philip Roth (67) und dem ewigen "Geheimfavoriten" Thomas Pynchon (63). Pynchon hätte vielleicht längst einen Nobelpreis bekommen, wenn er nicht so konsequent das Licht der Öffentlichkeit meiden würde. "Die Akademie mag es überhaupt nicht, wenn Preisträger nicht zur Preisfeier kommen." Gegen eine Vergabe an Tranströmer wird beim fleißigen Nobel-Orakeln ins Feld geführt, dass sich die letzte Vergabe an einheimische Preisträger als recht katastrophal erwies. Als die Schweden Harry Martinson und Eyvind Johnson 1974, selbst auch Mitglieder der Schwedischen Akademie, den Preis bekamen, wurde dies in Stockholm und international als krasse Fehlentscheidung kritisiert. Den ohnehin labilen Martinson traf diese Kritik mit voller Wucht. Er nahm sich 1977 als Psychiatrie-Patient das Leben. (APA/dpa)