Wie gnadenlos der britische Filmemacher Terence Davies manche Ver- und Missachtung empfunden haben muss - und wie frei von Wehleidigkeit er solche Momente inszenieren kann: Das hat er etwa schon bei seinem autobiografischen Meisterwerk Distant Voices, Still Lives (1988) unter Beweis gestellt. Und wie sehr Davies gleichzeitig rare kostbare Momente in desaströsen Lebenskonstellationen zelebrieren kann: Auch The Long Day Closes (1992) und The Neon Bible (1995) legen davon Zeugnis ab. Mit einer atemberaubenden Adaption von Edith Whartons Roman The House of Mirth hat Davies nun erneut all sein Können, all seine Sensibilität und einmal mehr seinen ungemein präzisen Blick für Verstrickungen in die Waagschale geworfen. Und es ist eine Schande, dass dieses Meisterwerk von keinem großen Festival gewürdigt wurde. Denn gerade in Zeiten, in denen das gute alte Kostümdrama fast schon wieder über Gebühr strapaziert wird, zeigt Davies, worin bei allem Luxus der Kostüme und Ambientes das einzige Ziel in diesem Genre liegen muss: im Freilegen sozialer Mechanismen bzw. des menschlichen Eigensinns (ganz im Sinne Alexander Kluges: jedem sein eigener Sinn), der oft mit diesen Mechanismen nicht kompatibel ist. Das ergibt dann etwa in den Romanen von Wharton (der wir auch Age of Innocence verdanken) fast klassisch archaische Tragödien. Wer wäre nun wirklich schuld, dass eine High-Society-Schönheit im New York der Jahre 1905-1907 langsam, aber sicher ausgegrenzt und vernichtet wird? Jeder verfolgt hier völlig logisch und legal und "berechtigt" seine Interessen, auch diese Lily Bart selbst, die übrigens von Gillian Anderson (ja, genau, die aus Akte X ) eindrucksvoll unpathetisch dargeboten wird. Dagegen etwa Dan Aykroyd als etwas feister, hilflos seinem Begehren ausgelieferter Neureicher: Davies' mutige Besetzungsentscheidungen setzen weniger auf Star-Aura denn auf eine Stimmigkeit der Persönlichkeiten und ihrer Gesten, die dort, wo die Inszenierung opulenten Ausstattungswahn verweigert, fast nüchtern an Selbstverständlichkeit gewinnen: selbstverständlich bis in das Desaster hinein. "Das Herz der Weisen ist im Haus der Trauer, das Herz der Toren aber im Haus der Freude." Alles Hölle. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, Beilage 12. 10. 2000)