Dem deutschen Filmemacher Romuald Karmakar wird von der Kritik gerne ein Umstand vorgeworfen: Er missachte seine Charaktere. Mit kühler Strenge verzeichne er ihren Redefluss, um damit ein - bisweilen erschreckend banales - Denkmodell transparent zu machen. Dagegen ließe sich halten, dass man seine Geschöpfe wahrlich nicht lieben muss. Den Serienmörder Fritz Haarmann, den er in Der Totmacher als erbarmungswürdigen Wurm entlarvte - man kann ihn schwer in die Arme schließen. Vielleicht offenbarte Das Himmler-Projekt seine Ästhetik bisher am deutlichsten: Drei Stunden lässt er den Schauspieler Manfred Zapatka die Reden des ehemaligen SS-Reichsführers vortragen, bis sich zuletzt die Monstrosität der Sprache, das "Unmögliche" im Sprechakt der Vernunft, offenbart. Mit Manila, seinem jüngsten Spielfilm, verhält es sich wieder anders. Im Viennale-Schwerpunkt "(junger) deutscher Autorenfilm" ist die Arbeit die zerrissenste, sicher aber nicht die uninteressanteste. Dabei ist ihre Ausgangsposition schlicht faszinierend:

Hauptsächlich deutsche Flugzeugpassagiere sitzen ohne Angabe weiterer Gründe am Flughafen der fernöstlichen Stadt fest. Zusammen ergeben sie ein Panoptikum individueller Besonderheiten und kollektiver Traumata des wieder vereinigten Landes. Die enervierende Situation des Wartens führt zu neuen Bekanntschaften, zunehmend kommen auch Aggressionen zum Ausbruch: Eine Situation ähnlich der aus Bunuels Würgeengel, erzählt aus der dispersiven Perspektive eines Robert Altman.

Wie so oft in Ensemblefilmen ergeben dabei die Teile nur bedingt ein Ganzes: Das Drehbuch, von Karmakar gemeinsam mit dem Schriftsteller Bodo Kirchhoff verfasst, hat für jeden Charakter einen Moment der Selbstentbößung vorgesehen. Zu den gelungensten Porträts gehören da noch Peter Rührigs und Margit Carstensens ostdeutsches Ehepaar Görler. Vom Aussteiger Walter (Michael Degen) lässt sich der biedere Ehemann zu immer ausgelasseneren Männergelagen und -gesprächen anstacheln.

Umgekehrt erschöpft sich das Aufeinandertreffen der jüdischen Journalistin Elizabeth (Elizabeth McGovern) mit zwei Cousins aus Neustadt (Jürgen Vogel und Zapatka) in hohlen Allgemeinplätzen: Als Zapatka etwa aufgrund eines verhinderten Blow-Jobs kurz durchdreht, lautet ihr Kommentar dazu: "Wenn in Buchenwald nur das passiert wäre, stünden die Deutschen heute besser da."

Insgesamt bleiben die Dialoge in Manila zu konstruiert, als dass sie den anvisierten Kleingeist und deutsches Spießertum wirklich treffen. Andererseits machen Fred Schulers Kamera, deren Plansequenzen zuletzt beim "Gefangenenchor von Manila" in Bewegung geraten, sowie ein Kurzauftritt Eddi Arents einiges wieder wett: Manila bleibt letztlich heterogen wie seine Besetzung.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, Beilage 19. 10. 2000)