Man wird unbescheiden. Das kommt mit der Reife. Oder mit dem Wohlstand. Oder mit dem Überfluss. Karl Kickinger zum Beispiel. Der ist einer von jenen Leuten, denen es verdammt gut geht - und die das auch ganz genau wissen. Aber manchmal brauchen Leute wie der braungebrannte Endvierziger so etwas wie einen Katalysator, damit sie sich dessen wieder richtig bewusst werden. Bei Kickinger ist das der Anblick eines kleinen, flachen, wendigen Motorbootes, das irgendwo in der Wachau an einem Pier vertäut liegt.

Wenn der St. Pöltener dann mit seinem großen an einem kleinen Boot vorbeituckert, huscht ihm kurz ein beinahe wehmütiges Lächeln übers Gesicht: Irgendwann, vor rund 25 Jahren, hat auch er mit so einem knapp drei Meter großen Boot angefangen. Eine Handvoll PS im Heck, das Wasser immer zum Greifen nahe.

Heute, Kickinger hebt den Blick von dem nun zurückliegenden kleinen Boot, heute, ist vieles anders. Aus dem jungen Mitglied der Wasserrettung ist ein g'standener Mann geworden. Ein wohldotierter Job in der Büroelektronikbranche. Ein Mercedes als "Gebrauchsfahrzeug", Oldtimer als Hobby. Und 290 PS, die Karl Kickinger und seine Frau Linda übers Wasser tragen. "Die Boote", meint der Mann am Steuer der 21 Fuß, also mehr als sechs Meter, langen "Wellcraft Eclipse" und dreht sich noch einmal nach dem kleinen Boot um, "die Boote sind über die Jahre immer größer und stärker geworden." Teurer natürlich auch.

Aber die Wachau, die hat sich nicht verändert. Die ist immer noch so schön wie damals. Vielleicht, legt Karl Kickinger den Kopf kurz schief, vielleicht sogar noch schöner. Dann drückt der Skipper den Gashebel nach vor. Und ohne erkenn- oder hörbare Anstrengung macht das Boot einen Satz nach vor. Mitten in den grünbraunen Strom hinein, der mit stoischem Gleichmut Richtung Krems vorüberfließt.

In diesem Bereich der Donau gibt es eine Vielzahl kleiner, versteckter Yacht- und Motorbootclubs, die eine oder andere kommerziell geführte Marina und etliche malerische Buchten, in denen sich Motorbootfahrer wie die Kickingers Wochenende für Wochenende umtun. Bloß: man sieht sie kaum. Erst wenn die Boote, so wie an diesem Spätsommertag, aus ihren Häfen aufs offene Wasser kommen, wird klar, dass die Wachau nicht nur per Fahrrad, Wanderschuh oder großem Ausflugsboot erlebbar ist, sondern dass auch immer mehr Wassersportler dieses - angeblich schönste - Flusstal Österreichs zu ihrem ganz persönlichen Ausflugs- und Reiseziel erkoren haben.

"Schifferlfahren" nennt es Karl Kickinger, wenn er sein

600.000 Schilling-Boot vom Aluminiumsteg des Motorbootclubs St.Pölten in Rossatz losmacht und die "High Fly" in den Strom zwischen den waldigen Hängen der Wachau steuert. Anderen, zwinkert der langjährige Skipper, würde er aber nicht raten, gegenüber einem Donau-Wochenend-Seebären den Diminuitiv "Schifferl" zu verwenden: Karl Kickinger darf das aber - schließlich ist er auch Motorbootführerscheinprüfer für Österreicher, die am Mittelmeer herumskippern. Auch die Überstellung "etwas größerer Yachten" von einem Eck des Mittelmeeres zum anderen gehört da zu seinen Aufgaben.

"Schifferln" gibt es auf der Donau wahrlich genug. Über 4000 sollen es sein. Schließlich sind die Österreicher ein nautisches Volk: Die Boot-pro-Einwohner-Quote, meint Karl Kickinger, läge im internationalen Spitzenfeld.

Manche Bootsvereine - wie etwa der Kickingersche Heimathafen in Rossatz - bieten gerade einer kleinen Handvoll Boote Platz. Andere, wie der bei Krems, fassen bis zu 200 Yachten der unterschiedlichsten Größen. Allen gemein ist aber, dass ihre Betreiber und Anleger großen Wert darauf legen, dass sich Motorbootfahrer heute grundsätzlich nicht als PS-strotzende Macho-Kapitäne, sondern als umweltnahe Flussconaisseure verstehen. "In den letzten Jahren hat sich immens viel in Sachen Umweltschutz getan", betont Karl Kickinger immer wieder. "Es geht den meisten Leuten nicht um das theoretisch erreichbare Tempo, sondern um die Ruhe und die Freiheit." Freilich eine Freiheit mit gewissen Spielregeln: "Heute würde keiner seinen Dreck einfach über Bord werfen", meint Linda Kickinger. Und das nicht nur, weil die Fischer am Ufer ein sehr strenges Auge auf die Motorboote werfen. "Wir alle haben erkannt, dass wir von der Schönheit des Flusses leben", erklärt Kickinger.

21 Fuß, zeigt Karl Kickinger, während er Spitz und Weissenkirchen flussaufwärts vorbeiziehen lässt, 21 Fuß sind auf der Donau so etwas wie Mittelmaß: Backbord (also links) der Fly High, knapp unter den Bäumen des rechten Donauufers lässt sich ein Pärchen auf einer Luftmatratze sanft ein Stück Wachau hinuntertreiben. Ein Vater rudert mit seinem Sohn in einem Schlauchboot in einer von der Strömung abgelegenen, seichten Bucht herum - und hat dabei stets ein Auge auf die Schleppverbände, die sich - nur auf den ersten Blick langsam - stromaufwärts bewegen: Mit den Wellen eines Schleppers spaßt keiner. Weder die Paddler in ihrem Kajak, noch die Kids, die an einer seitlich aus einem kleinen Speedboot ragenden Stange Barfuss-Wasserskifahren üben. "Wenn es dich da aufhaut, kannst du nicht einmal mehr die Augen zumachen, so schnell geht das," warnt Linda Kickinger.

Steuerbord zieht ein zweistöckiges kleines Haus am

Wasser vorbei. An seinem Heck weht die deutsche Fahne. Der österreichische Teil der Donau im Allgemeinen und die Wachau als ihr spektakulärster Teil im Besonderen hat sich in den letzten Jahren unter Bootstouristen einen Namen gemacht. Die besseren Restaurants, die meisten donauseitig gelegenen Hotels und sehr viele Heurige haben inzwischen erkannt, dass die Skipper eine interessante und potente Kundenschicht darstellen. Zahlreiche kleine private Anlegestege von lokalen Gastronomiebetrieben legen dafür eine beredtes Zeugnis ab. Auch die im Sommer stets voll belegten Gäste-Piers in den meisten Yachtclubs sprechen eine deutliche Sprache: Zwei und dreistöckige Boote, manche gut 16 oder 17 Meter lang mit ausgefahrenen Satellitenfernsehschüsseln und allem zivilisatorischem Schnickschnack an Bord sind in den Buchten der Wachau längst keine Seltenheit mehr.

Die Skipper kommen von überall her, weiß man am Fluss. Eine der aufsehenerregendsten Flaggen, erzählt man weiter flussabwärts - in der elitären Marina Wien - war vor wenigen Monaten die finnische. Der Skipper und seine Familie, erinnert sich Marina-Wien-Geschäftsführer Daniel Riedl, waren mit ihrer Yacht in Finnland losgefahren und über den Rhein-Main-Donaukanal bis nach Wien gekommen. Nach ein paar Tagen in der Stadt ließ der Skipper einen Sattelschlepper für das Boot kommen, setzte seine Familie ins Flugzeug und war auf dem Weg zurück in den Norden.

Freilich: Wer auf diese Art Reisen will, darf nicht jeden Schilling umdrehen müssen. Zwei bis drei Millionen Schilling, rechnet Karl Kickinger vor, wäre ein guter Durchschnittspreis der größeren Boote, die in der Wachau unterwegs sind. Und bei einem Benzinverbrauch von rund 30 Liter pro Stunde ist auch seine Fly High nicht gerade das, was man einen "Studentenhit" nennen würde.

Das Geld, gibt daher auch Gerhard Rössler, Kopf der Marina Traunstein, zu, ist einer der Gründe dafür, dass sich auf der Donau langsam aber sicher ein "Generationsloch" auftut: Die röhrenden und dreckigen Außenbordmotoren, die früher noch zugelassen waren, ermöglichten es auch jüngeren Leuten, aufs Wasser zu gehen. Höhere Umweltstandards und die damit verbundenen Kosten lassen "den Nachwuchs ausbleiben. Die Alten nehmen ihre Kinder und Enkel mit, aber die Mitte, die fehlt." Auch sportliche Klassiker - wie etwa der legendäre "Donauski", ein Wasserskirennen über 100 Kilometer, bei dem die Durchschnittsgeschwindigkeit rund 115 km/h beträgt - hätten in den letzten Jahren immer seltener oder gar nicht mehr statt gefunden. Rössler: "Uns sterben die Leute weg."

Die ganz Jungen - nämlich die, die jünger als 12 Jahre sind - wissen davon noch nichts. Auch nicht, dass sie in vier, fünf Jahren mit ihren Freunden nach Ibiza oder auf irgendwelche karibischen Inseln fliegen werden, um nichts anderes zu tun, als sie hier, auf der Donau im Schatten der Weinberge und Klöster, im Schlepptau des großelterlichen Motorbootes zum ersten Mal gemacht haben: Auf einem Autoreifen oder einer überdimensionierten aufblasbaren Banane über das Wasser gezogen zu werden.

Oder einfach auf einem Motorboot zu sitzen, das sanft über die silbernen Wellen flitzt. Man wird - über die Jahre hinweg - nämlich unbescheiden. Manchmal hilft da dann der Anblick eines kleinen, flachen, wendigen Motorbootes, das irgendwo in der Wachau an einem schmalen Pier vertäut liegt. Thomas Rottenberg