Foto: Viennale
Die Beatles im herbstlichen Wien mit A Hard Day's Night . Sie landeten am Wochenende wie auf vertrautem Boden im Gartenbaukino - We were talking about the space between us all - gegen 18 Uhr. Vielleicht um eine Spur geisterhafter, aber nicht weniger überwältigend als damals vor dreißig Jahren. Sie waren in Richard Lesters Regie auf dem Weg zu ihren Auftritten. Ihr Tempo schien mir in diesem Film noch gewachsen, sie hechteten über die Leinwand, wie ich früher und zuweilen noch heute zu den Viennale- und anderen Filmen. Offenbar waren sie auf der Flucht vor einigem, was noch auf sie zukam: Weltruhm, Geld, Adelstitel. Vor den harten Tagen und den Nächten danach. And looking up I noticed I was late . Heute fühlt man sich leicht gejagt und immer zu spät dran. Es gehört immer mehr zum Umgangston, gejagt zu sein. Wer Zeit hat, will keine haben. Wer in den harten und glücklichen Viennale-Tagen der Leinwand mit den Beatles nachjagt, kommt kaum dazu nachzudenken. Aber die Beatles selbst, um derentwillen Mädchen in Schreikrämpfe ausbrachen, schwangere Frauen ihre Kinder um Wochen zu früh bekamen? Bestimmten ihnen die Hechtsprünge von Liverpool weg nach Hamburg, Paris und quer über den Atlantik schon vor allen diesen Zielen ihre Tage? Drei von ihnen leben noch, man könnte sie fragen. Yellow Submarine - Der Atlantik war, als die Beatles gerade aufwuchsen, das Ziel, die erste Reise nach dem Krieg: England 1948. Noch ohne einen einzigen Beatle kam London in Sicht. Ich wohnte bei meiner Schwester in einem Wohnblock über den Bahngleisen von Paddington Station, meine Mutter bei ihrer Schwester nahe Finchley Road, die einige schon Finchleystraße nannten, so viele Emigranten gab es dort schon, keine Reichen. Selbst das Geld für die Milch fehlte uns, alles war damals "pennyless". Aber auch die Beatles hatten um diese Zeit noch keine Pilzköpfe, keinen Adelsrang und kein Geld, alles war offen. Canetti lebte in einer kleinen Wohnung nahe der Finchley Road, und Sigmund Freud hatte schon das großbürgerliche Grab in Golders Green bezogen. Für einige A hard day , für uns aber auch schon die dazugehörige glückliche Nacht. Alles erschien als neues Glück. Weihnachten rückte näher, ohne dass ein einziger Penny in Sicht kam. Die kleine Tochter meiner Schwester - geboren 1942 an ebendem Tag, an dem unsere Verwandten aus Wien deportiert wurden - hatte sich von Father Christmas einen Puppenwagen gewünscht und bekommen. Er war von Woolworth, aus Blech. Sie gab ihn mir einen Augenblick zu halten, öffnete die Fenster und rief "Thank you, Father Christmas!" über die Gleisstränge. Da waren die Beatles schon denkbar. What do you see, when I turn out the light? Das wollen nur die Kleinen wirklich wissen, die anderen fürchten solche Fragen. "When I turn out the light": Soll das nicht heißen, dass einer weggeht? Mein Sohn fürchtete schon bald, nachdem er die Augen aufgeschlagen hatte, die Abschiede. Es half nichts, ihm zu sagen, dass man immer von jedem für immer Abschied nehmen muss. Mehr trösteten da die Stimmen der Beatles oder Bob Dylans, die durch die Sixties und durchs Haus in Großgmain, das Gegenteil von Großbritannien, dröhnten. Unter diesen Stimmen versammelten sich die Freunde, die manchmal über Nacht blieben und sich russische Namen zulegten, Sergej, Ivan, Ilia, Nikolai. Und auch die Seinigen kamen mit diesen Stimmen vorerst wieder, seine kleine Schwester aus der Schule, sein Vater von langen, seine Mutter von kürzeren Reisen. Auf einer Lesereise kam ich einmal nach Liverpool. Den Kindern hatte ich versprochen, etwas Beatle-Ähnliches aufzutreiben. Tatsächlich gelang es mir an einem Nachmittag, an dem der Regen zugleich mit dem Ruß auf Liverpool fiel, mit einem Onkel von Ringo Starr in seiner engen Wohnung Tee zu trinken. Er war ganz freundlich und interessiert und hatte keine Ahnung, wo Österreich liegt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, Beilage 24. 10. 2000)