Wien - Ein etwas muffiger, seltsamer Geruch lag zeitweise beim Answers in Progress- Festival in der Luft - jedoch nicht primär ob des viel diskutierten Status quo der zeitgenössischen Improvisationsmusik. Eher hatte dies mit der etwas konservativen Programmlinie der von Franz Koglmann ausgerichteten Reihe im Wiener Konzerthaus zu tun. Die Veränderungen etwa, die jener Bereich seit der zweiten Hälfte der 90er-Jahre durch den massiven Einbruch von Techniken und Materialien der neuen elektronischen Musik erlebt(e), blieben im Rahmen dieses - sich als selektive Bestandsaufnahme gegenwärtigen Schaffens verstehenden - Events der Musik-Galerie ausgespart. Dennoch: Die zur Zeit wieder medial präsenten Jazz-Pompfüneberer kamen im (akustisch noch verbesserungsfähigen) Neuen Saal nicht wirklich auf ihre Rechnung: Starke Persönlichkeiten, so zeigte sich, sind auch dann zu Arbeiten von spannender Aktualität befähigt, wenn sie an 60er- und 80er-Jahre-Konzepten der freien Improvisation und des Eklektizismus feilen. Das Ellery Eskelins Trio etwa ließ den Hörer teilhaben an seinen Forschungsreisen durch die Jazzgeschichte. Die Disparatheit der Fundstücke, von der polyphonen Linearität Tristanos über Coltranes beseelte Hymnik bis hin zu Noise-Einflüssen reichend, trat freilich hinter dem Expressionswillen der Musiker zurück. Lakonische Vehikel Trotz einer gewissen Formstrenge gerierten sich Eskelins Kompositionen als etwas lakonische Vehikel für die Improvisation, wobei insbesondere Drummer Jim Black fulminante Virtuosität zeigte. Rajesh Mehta hingegen ist Modernist geblieben, hat den Glauben an die Nutzbarkeit des in der freien Improvisation erarbeiteten Materials noch nicht aufgegeben. Zu Recht: Die disziplinierten Heterophonien des Quintetts lebten von einer Art doppeltem Kippeffekt, der Gratwanderung zwischen jazzidiomatischen Anspielungen und reiner Sound-Exploration einerseits und interaktiv hochsensiblen Kollektiven und abstrakten Klangschichtungen andererseits. Stark! In diesem Dualismus zeigte sich Mehta in gewisser Weise Oskar Aichinger verwandt. Der Wiener Pianist brach im Zuge seines To Touch A Distant Soul- Projekts die hermetischen Klangflächen immer wieder expressiv auf und verschränkte sie eigenwillig mit lyrisch-tonalen und hitzigen, extrovertierten Stimmen. Ohne diesen bipolaren Kontrast fehlte es der Musik jedoch an Energie. James Emerys schlecht geprobte Premiere des in seiner Jazzigkeit wie eine altertümliche Reminiszenz anmutenden Sextett-Programms bedeutete indes den einzigen Schwachpunkt. Hier roch es streng! Nichtsdestotrotz: Die improvisierte Musik ist noch lange nicht am Ende. Das zeigte, trotz innerer Widersprüche, auch dieses Festival. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27. 10. 2000)