Wien – "Ich will diesen Text lesen, jetzt, wo er nicht mehr aktuell ist, und ich hoffe, dass die Leute vielleicht ein bisschen differenzierter zuhören können", erklärt Libgart Schwarz, warum sie nach über einem Jahr Peter Handkes Berichte zweier Reisen durch das von der NATO bombardierte Jugoslawien liest. Am 5. und am 6. November liest die Burgtheaterschauspielerin Handkes "Unter Tränen fragend. Nachträgliche Aufzeichnungen von zwei Jugoslawien-Durchquerungen im Krieg, März und April 1999" in der Wiener Gruppe 80.

"Ich erwarte mir, dass nur die Leute kommen, die ein Ohr haben, weil über ein Jahr danach die Situation eine andere ist und man jetzt vielleicht bereit ist, ein bisschen anders zu reflektieren", sagt Schwarz. Zugleich solle die Lesung der damals heftig umstrittenen Texte, die Anfang Juni 1999 auszugsweise in der "Süddeutschen Zeitung" und zu Beginn dieses Jahres in Buchform bei Suhrkamp erschienen sind, eine "Erinnerung" sein, auch vor dem Hintergrund der kürzlich erfolgten "Wiederaufnahme" Jugoslawiens in die UNO.

"Man erinnert sich ja gar nicht gern daran, dass man so sehr für den Krieg war."

"Man erinnert sich ja gar nicht gern daran, dass man so sehr für den Krieg war." Sie selbst sei damals – "unabhängig von Peter" – dagegen gewesen und habe erlebt, wie Kriegsgegner kurzerhand zu Milosevic-Sympathisanten erklärt wurden. Jetzt hingegen wisse man, das der Krieg (am 23. März 1999 hatte NATO-Generalsekretär Javier Solanas den Befehl zu Luftangriffen gegen Jugoslawien gegeben, deren Ende er am 20. Juni 1999 offiziell bekannt gab) "eindeutig eine Geschäftsangelegenheit" gewesen sei, damit "die Amerikaner ihren alten Schrott endlich herunterschmeißen konnten" und die Produktion neuer Waffen angeregt wurde.

Nicht zuletzt soll aber die Aufmerksamkeit auch auf die sprachliche Qualität des Textes gelenkt werden. Die Leute, mittlerweile gar nicht mehr an dem Thema interessiert, sollten hören, "wie schön das geschrieben ist, mit welcher Inständigkeit, Ruhe, Genauigkeit und Schönheit". Natürlich habe der Inhalt auch die Sprache beeinflusst, "bei so einem Thema kann man jetzt nicht auf Poesie und schöne Sätze schauen, deswegen sind die Sätze da auch ziemlich anders, mehr so verknappte Gedanken". Es sei auch auffallend, wie viele Zitate Handke verwendet, gerade auch aus Zeitungsberichten, deren Sprache er auch schon vor "Unter Tränen fragend" heftig kritisiert hatte.

Nerv getroffen

"Er muss da schon einiges getroffen haben", versucht Libgart Schwarz eine Erklärung der überaus heftigen Reaktionen auf die Reiseberichte und deren Verfasser. Dass sich Handke mit seiner Meinung als "einzelner gegen die Welt und gegen die Weltmacht" gestellt habe, "dass er das macht, weil es sich gehört, das bewundere ich, das finde ich schön".

Warum Libgart Schwarz die Texte – es ist übrigens das erste Mal, dass sie diese öffentlich vorträgt, im Dezember wird sie das dann auch am Berliner Ensemble tun – in der Gruppe 80 liest, hat zum einen mit dem Theater und zum anderen mit ihrer Biografie zu tun. "Ich finde das hier den richtigen Ort, weil hier auch seine Stücke gespielt werden", so Schwarz. Auch biete das Theater genau so vielen Zuschauern Platz, wie sie erwarte. Zudem kenne sie die Leute von der Gruppe 80 noch aus ihrer Zeit am Wiener Reinhardt-Seminar.

In Wien fühle sich die Schauspielerin so fremd wie zu der Zeit, als sie nach dem Reinhardt-Seminar wegging, mit einem Unterschied: damals habe es ihr nicht gefallen und jetzt mache es ihr nichts mehr aus. "Ich habe mich nicht gesehnt, hierher zu kommen, aber ich fühle mich hier am Platz, vielleicht auch gerade weil es jetzt politisch gar nicht so schön ist." (APA)