Im damals noch streng kommunistischen Jugoslawien lebte Miroslava Sunjic in den Fünfzigerjahren in Angst. Ihrem Mann drohte ein politischer Prozess und die Verbannung auf die Strafinsel "Goli Otok". Von dort "sind viele nicht wiedergekommen". Die gebürtige Kroatin hat mütterlicherseits Wurzeln in Oberösterreich. Das bot ihr 1957 einen guten Vorwand, um einen Pass für sich, den Sohn und das Baby zu beantragen. Ihre Großmutter war in Steyr verstorben und hatte ihr ein kleines Erbe hinterlassen. Ihr Mann bekam keinen Pass. Also sollte er über die Berge nach Österreich flüchten und zur Familie stoßen. Regelmäßig kamen Briefe, in denen ihr Gatte zu verstehen gab, dass er es nicht geschafft hatte. "In dieser Zeit fand ich fast jeden Tag vor dem Haus ein vierblättriges Kleeblatt." An dieses kleine Hoffnungszeichen klammerte sich die Frau. Schnelle Anerkennung als Flüchtling Die Monate vergingen. Inzwischen hatte sie einen Asylantrag gestellt und war innerhalb von nur 48 Stunden als Flüchtling anerkannt worden. Mit ihren beiden Kindern bewohnte sie jetzt ein Zimmer im Flüchtlingslager. Und sie wartete. Für seinen zehnten Geburtstag Ende September kannte der Sohn nur einen Wunsch: den Vater. Der geerbte Schmuck war verkauft, und Frau Sunjic schlug sich als Markthelferin durch. Es kamen keine Briefe mehr. "Ich wusste nicht, was los ist. Haben sie ihn erwischt? Lebt er noch?" Noch heute, nach mehr als vierzig Jahren, kann sie ihre Emotion nicht verbergen: "Am Abend vor dem Geburtstag meines Sohnes klopfte es an die Tür. Er war da." In einer furchtbaren Gewitternacht, als nicht einmal die Grenzpatrouillen hinauswollten, hatte er es endlich nach Österreich geschafft. Die Kleeblätter hatten nicht gelogen. Langwieriger ökonomischer Aufstieg Was folgte, war der langwierige ökonomische Aufstieg: Zehn Jahre Flüchtlingslager, schwere Arbeit, das dritte Kind, eine Wohnung in Wien. "Als die Kinder aus dem Gröbsten waren und es uns endlich hätte gut gehen können, erkrankte mein Mann an Krebs und starb 1978." Heute ist Frau Sunjic dennoch eine zufriedene Frau. Sie genießt ihre Pension, kümmert sich um die Enkel, ist politisch aktiv und nimmt Italienischunterricht. Nach Kroatien fährt sie gerne auf Urlaub. "Ich bin wohl keine typische Österreicherin. Aber mein Platz ist hier", sagt sie lächelnd und streicht ihrem Enkel über den Kopf. (Melita H. Sunjic, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 04./05.11.2000)