Wels - Was ist wirklich dran an The Vandermark 5 , deren Österreich-Premiere am Sonntag den Schlusspunkt des Welser Music Unlimited- Festivals setzte? Formal werden konservative Wege beschritten, stilistisch (auch keine Novität) freie Improvisation und Trash-Rock zusammengeführt, mit historischen Rückgriffen auf Ornette Coleman, die West-Coast-Jazz-Dezenz und sogar Dixieland-Kollektive. Und dennoch klingen diese Chicagoer Mannen direkter, aufregender als in anderen Gruppen. Vielleicht lässt sich dieses Phänomen in Abwandlung von Franz Koglmanns Wortfügung einer "Genauigkeit in der Melancholie" als "Genauigkeit in der Expressivität" beschreiben. Jeder Klang, ob einfache Walking-Bass-Note oder Saxophon-Schrei, wird von Energie durchströmt, mit bewusstem Nachdruck an "seine" einzig passende Stelle gesetzt und so mit existenzieller Bedeutung aufgeladen. Kein Ton ist zu viel! Denn Genauigkeit, Bewusstheit im Spiel bedeutet auch Ökonomie des Materials. Ken Vandermark & Co. scheinen diese Tugend des reifen Alters schon jetzt begriffen zu haben, ohne ihren jugendlichen Übermut, ihr Feuer bezähmen zu lassen. Nicht nur, dass Wels Chicago werden durfte (auch die Flying Luttenbachers, brachial-noisig wie in ihren besten Zeiten, gaben ihre Visitenkarte ab). Es ermöglichte auch Begegnungen der unerwarteten Art: Keith Rowe, John Tilbury und Eddie Prévost, seit 35 Jahren unter dem kryptischen Kürzel AMM firmierend, klinkten sich unauffällig und leise in das improvisatorische Postludium des Frank-Stadler-Quartetts ein, nachdem der Konzertmeister des Mozarteum-Orchesters mit seinen Kollegen zuvor George Crumb und York Höller gegeben hatte. Die Ränder der Stille Frei improvisierte Klangflächen wurden da zelebriert, handgemachte Ambient-Soundscapes, wie man sie in ihrer fließenden, zeitlupenartigen Struktur eher aus der elektronischen Musik kennt. Und wieder wurde in diesen kontemplativen Texturen jeder Klang, jede Geste ereignishaft bewusst platziert, sodass sich das britische Trio auch den Rändern der Stille nähern und diese in spannungsgeladenen Pausen überschreiten konnte, ohne dass die Aufmerksamkeit des Publikums nachließ. Auch Martin Siewerts Komfort 2000-Quintett (mit Wayne Hovitz) generierte zumeist ausgedünnte, retardierte Linearstrukturen, deren langsame, jedoch vielfältige Veränderungen und Überlagerungen gefielen. Zu Festivalbeginn standen fünf Kinder auf der Bühne und sangen ein tschechisches Volkslied; keine parodierende Brechung, vielmehr eine sachte Öffnung des Horizonts. Folkige Rhythmen traten hinzu, ein jazziges Flügelhorn, latineske Steel-Drum-Klänge. Und Iva Bittovás Violine, schlicht und erdverbunden, während sie ihre Stimme weit, ganz weit in schamanistische, bluesige, freie Räume hinausfliegen ließ. Große und kleine Welt glückhaft vereint. Das war auch ein politisches Statement. Vielleicht aber sogar eine philosophische Vision. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 11. 2000)