Standard: Die Jahrestagung der Gesellschaft für Psychoonkologie beschäftigt sich am Wochenende in Bad Ischl mit zeitgemäßen psychotherapeutischen Ansätzen bei Krebserkrankungen. Gibt es, wie mitunter behauptet, so etwas wie eine "Krebspersönlichkeit"? Bilek: Nein, der Begriff "Krebspersönlichkeit" ist inzwischen obsolet. Es gibt keine brauchbaren wissenschaftlichen Daten, die zeigen, dass bestimmte Persönlichkeitseigenschaften zu Krebs disponieren. Andererseits ist es heute eindeutig erwiesen, dass psychosoziale Betreuung die Prognose bei Krebs verbessert. Die relevanten Fragen der Psychoonkologie drehen sich also darum, wie wir den Patienten mit psychotherapeutischen Methoden helfen können, mit Krebs besser fertig zu werden, natürlich in Kombination mit bewährten medizinischen Methoden wie Chirurgie, Chemotherapie oder Strahlentherapie. Wurde die Psychoonkologie früher auf die Sterbebegleitung reduziert, so wird heute deutlich, dass ihre Aufgabe eindeutig im kurativen Bereich liegt. STANDARD: Welche Möglichkeiten stehen dabei zur Verfügung? Bilek: Ein neuer Ansatz ist etwa die Supportive Expressive Therapy. Die PatientInnen lernen dabei, ihre Gefühle besser zum Ausdruck zu bringen, ein Konzept, das sich schon in der Psychotherapie bewährt hat. Es gibt einen Konsens zwischen Medizinischen Psychologen und Krebsexperten, dass bestimmte Faktoren einen günstigen Verlauf einer Krebserkrankung ermöglichen. Das ist zum einen eine Verbesserung der Sozialsituation. Studien zeigen, dass sich, wenn nach Ausbruch der Krankheit der Freundeskreis erweitert und intensiviert wird, die Prognose verbessert. Wichtig ist eine Zuname von Autonomie, mehr Möglichkeiten zu autonomen Entscheidungen, auch bei anstehenden Therapieentscheidungen wie Knochenmarkstransplantation. Der Patient darf sich nicht zu einer bestimmten Behandlung genötigt fühlen, das gefährdet das Behandlungsergebnis. Hoffnungslosigkeit und Aussichtslosigkeit sind erwiesenermaßen krankheitsfördernd. Der Psychoonkologe kann dabei helfen, neue Perspektiven zu entwickeln. STANDARD: Welchen Beitrag für die Psychoonkologie leistet die Psycho-Neuroimmunologie, die sich naturwissenschaftlich mit den Zusammenhängen zwischen der Psyche und dem Immunsystem beschäftigt? Bilek: Sie hat der Psychoonkologie enormen Auftrieb gegeben, weil sie unter anderem auch auf anatomischer Ebene nachweisen konnte, dass zwischen Psyche und Organen eine Verbindung besteht. So docken Nervenzellen an Lymphknoten an und insgesamt steht das Immunsystem in enger Verbindung mit seelischen Vorgängen. Eine Studie hat gezeigt, dass die Immunkompetenz von Schauspielern sinkt, wenn sie traurige Rollen spielen. Es wurde auch nachgewiesen, dass eine seelisch schlechte Verfassung zu einer Immunsupression führt und etwa das Ausbrechen von grippalen Infekten begünstigt. Das schulmedizinische Konzept vom unabhängigen Immunsystem ist historisch. (hh - DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8. 11. 2000))