Robert Haidinger South Cotobato Province im Winter 1998. Bleierne Hitze und schmelzendes Schokoladegrinsen. "Vote for Bong Blue" steht auf den Plakaten zu lesen, und das grobschlächtige Politikerportrait darüber verspricht auch Outsidern wenig Gutes. Doch von den Horrorstories und Terrorakten der vergangenen Jahre, die diese Provinz der südphilippinischen Insel Mindanao seit Jahren zum Zankapfel von muslimischen Radikalen und der philippinischen Regierung machte, herrscht weit und breit keine Spur. Die Gefahren drohen der landschaftlich reizvollen Tropeninsel von anderer Seite. Denn Mindanao gilt heute als El Dorado des philippinischen Archipels. "Go south, young man" lautet die Devise für zahlreiche Einwanderer von den benachbarten Visaya-Inseln, deren Bulldozer und Spaten tiefe Schneisen in die kaum erforschten Bergwälder schlagen. Riesige Mineralvorkommen werden hier vermutet. Unter anderem Gold. Außerdem edles Mahagoni, Teak und andere Möbelhölzer, auf denen bislang nur Papageien herumhocken. Eine eigentümliche Pionierstimmung liegt denn auch über den Wellblechhütten, Sägewerken und Urwaldpisten der zweitgrößten philippinischen Insel, auf die man früher Aufmüpfige wie den philippinischen Revolutionär und späteren Nationalhelden Jose Rizal verbannte. "Sümpfe, Wälder und wilde Tiere", faßte er seine Eindrücke in einem Brief an seinen Familienclan in Calamba zusammen. Doch zum Schluß verliebte sich der spätere erste Staatspräsident trotzdem in dieses wilde Land. Nachdem Rizal in der Lotterie ein 200.000-Peso-Los gezogen hatte, machte er das Exil sogar zur neuen Heimat. Er kaufte beim verschlafenen Städtchen Dapitan ein Stück Grund, baute sich dort 1893 die Casa Cuadrada, fütterte Hühner und den Unabhängigkeitskampf der ältesten asiatischen Demokratie. Über 100 Jahre später hat sich das Land ringsum nachhaltig verwandelt: Weite Teile der Urwälder mußten allein den riesigen Ananas-Plantagen des amerikanischen Del-Monte-Konzerns weichen oder haben sich in lauschige Orchideen-Pflanzungen verwandelt. Doch vor allem im unwegsamer gebliebenen Süden pflückt man solche Blümchen weiterhin frisch aus den Wäldern. Der Dschungel hinter Surallah im Süden der Insel ist so ein begnadeter Flecken. Längst sind die Straßen holpriger geworden, die wenigen bunten Jeepneys voller. In dichten Trauben hängen die einheimischen Fahrgäste an den langsam dahinrumpelnden Gefährten, und die mittransportierten Schweine sind wie Rollschinken am aufgeheizten Dach festgezurrt. Die Straße schlängelt sich immer höher ins üppige Bergland des T'boli-Stammes hinauf, vorbei an Pfahlbauten und schnatternden Entenherden, an zerklüfteten Kalkfelsen und rauschenden Wasserfällen. Quietschgrün schmiegen sich vereinzelte Reisterrassen in die oft wolkenverhangenen Bergflanken des umliegenden Tiruray-Hochlandes, und irgendwann taucht hinter der letzten Kurve schließlich der blauschwarz durch den Wasserdampf schimmernde, mit Wasserhyazinthen-Teppichen ausgelegte Lake Sebu auf - besonders stimmungsvoll in der frühen Morgendämmerung. Von den ufernahen Pfahlbauten steigen dann dünne Rauchfahnen auf, und vom beliebten "Mountain Coffee Restaurant" duften bereits der dicke lokale Bohnenkaffee und klebrige Bratbananen über die Straße. Als die ersten Missionare vor mehreren Jahrzehnten nach mühseligen Tagesmärschen in die abgeschiedene Bergwelt der animistischen T'boli kamen, mußten sie auf solche Genüsse und den Luxus der neu entstandenen touristischen Seeufer-Cottages verzichten. Selbst die benachbarten Inseln pflegten mit den zurückgezogen lebenden T'boli lange Zeit kaum mehr als sporadische Handelskontakte, und bis heute zählt der samstägliche Markt am Lake Sebu zu den farbenprächtigsten des Archipels. Zu Fuß trudeln die T'boli in handgewebten Trachten und mit Pferdehaar-Ohrringen beim Lake Sebu ein, lächeln schüchtern mit schwarzgefärbten Zähnen, feilschen ganz und gar nicht schüchtern um Plastikblusen, Tabak, Eisenäxte. Die breitkegeligen Hüte stecken ihnen dabei wie Pilze am tätowierten Kopf. Dabei sind die 200.000 T'boli nur ein Stamm von vielen. Kaum eine andere philippinische Insel kann eine ähnliche Vielfalt an ethnischen Minderheiten vorweisen wie Mindanao. Jede zweite Ecke wartet mit neuen Dialekten, Sitten, Baustilen, Pfeilspitzengiften und Trachten auf, und die vielen parallel verlaufenden, bis 3000 m hohen Gebirgszüge tragen zur Isolation der vor Urzeiten aus Borneo und anderen indonesischen Inseln eingewanderten Völker bei. Szenenwechsel: Provinz Zamboanga del Sur, im äußersten Südwesten der Insel. "Bääng", schreit ein Halbstarker des kriegerischen Moro-Stammes und hechtet mit gezücktem Zeigefinger vom Wohnzimmer aus direkt ins trübe Mangrovenwasser. Ringsum erstreckt sich Rio Hondo, die bekannteste Pfahlbausiedlung der Philippinen. Selbst die Moschee wurde auf soliden Holzpfählen errichtet, und so sehen Rio Hondos muslimische Fischer beim Niederknien zum 5-Uhr-Gebet eben auch Allahs kleine Fische durch die Bodenritzen glitzern. Trotzdem waren Rio Hondo und das übrige Zamboanga del Sur jahrelang ein heißes Pflaster. Denn den Mumm zur Revolte hatten sich die Moros auch nach jahrhundertelangen Kämpfen gegen die Spanier, Amerikaner und zuletzt das philippinische Militär nicht rauben lassen. Öfter als einmal zwangen die Rebellen der Moro National Liberation Front (MLNF) die Regierung zur Verhängung des Kriegsrechts über das gesamte Gebiet - und erreichten schließlich die Gründung einer Autonomen Moslemischen Region. Seither kann die malerische Gegend, an der sogar Ex-Präsident Marcos ein bescheidenes Küstenpalästchen besaß, wieder entspannt genossen werden. Zamboanga Citys Fort Pilar, 1635 von bedrängten Jesuiten errichtet, zählt da ebenso zu den Besuchermagneten wie die Handycraft Outlets, in denen zwischen traditionellen Stoffen und Meereschnecken-Mobiles krummsäbelige Moro-Dolche verhökert werden. Arabische Boote mit bunten Segeln und Pfahlbau-Moscheen kann Davao City, Mindanaos größte Stadt am östlichen Ende der Insel, seinen 900.000 Bewohnern nicht bieten. Dafür haben die Gründer der flächenmäßig größten Stadt der Welt duftende Orchideengärten ins Stadtgebiet eingemeindet, an die sich Attraktionen wie das "Philippine Eagle Center" anschließen. Hier können sich Besucher vom Appetit des fast ausgestorbenen philippinischen Wappentiers überzeugen. 16 der letzten 77 Philippinischen Adler werden in der parkähnlichen Anlage aufgepäppelt. Schwieriger bekommt man die majestätischen Adler wohl an den angrenzenden Ausläufern des vulkanischen Mt. Apo vor die Fotolinse. Zwei Tage dauert der Aufstieg zum Gipfelkreuz des 2956 m hohen Hausberges Davaos, an dem die einheimischen Bagobos den Wohnsitz des Erdbebengottes Mandarangan vermuten. Doch der bleibt diesmal gnädig: Nur dichte Mahagoni-Wälder, brusthohe Farne und heiße Thermalquellen legen sich in den Weg. Und selbst der schlechte Mundgeruch der Berggottheit kann das Gipfelglück nicht verderben: Wenn sich die beißenden Schwefeldämpfe kurz lichten, eröffnen sich herrliche Ausblicke auf die einsamen Steilküsten und Strände von Davao del Sur. © DER STANDARD, 6. / 7. Februar 1999