Wien - Rhythm'n'Blues musste in den letzten Jahren leiden. Sehr. Dieser Stil wurde nämlich seit den mittleren 90ern auf die Verkaufsformel R'n'B reduziert. Der Blues, also wenn man will, der emotionelle Input, blieb dabei auf Kosten eines knieweichen MTV-Gehopses schöner Menschen auf der Strecke. Hauptsache man konnte dazu schmerzfrei seine Bauch-, Beine-, Po-Übungen machen. Mit Jill Scott stand am Mittwoch im Wiener Metropol jedoch eine jener jungen schwarzen Sängerinnen auf der Bühne, die sich dieser Entwicklung entgegenstellen. Zwar bedient sich die aus Philadelphia stammende Scott sehr wohl derselben Mittel, also meist HipHop-Beats als rhythmisches Grundgerüst. Sie stellt jedoch ihre Stimme als Gefühlsträger und narratives Medium zurück ins Zentrum des Bühnengeschehens. Das gelang ihr live noch überzeugender als auf ihrem aktuellen Album Who Is Jill Scott . Sofort heiraten! Denn bis auf wenige Zuspielungen per DAT-Recorder, etwa akustische Gitarrenlinien oder auch Samples, die zwischen den Songs "Messages" an das zahlreiche Publikum richteten, vertraute Scott auf die Möglichkeiten einer auf "echten" Instrumenten spielenden Band. Mit zwei Bläsern, mit zwei Background-Sängerinnen Marke "Darf ich bitte hier und jetzt um Ihre Hand anhalten, oh Fremde?", mit Drums und Perkussion sowie einem stellenweise aufdringlichen Bass, der dazu führen könnte, dass sich Jill Scott in naher Zukunft auf diversen Jazz-Festivals wiederfindet, bot sie Rhythm'n'Blues alter Schule. Unverblümtes weibliches Story-Telling in Zeiten anhaltend erfolgreicher Macho-Ungustln im HipHop gehörte da genauso dazu wie eine gute Balance zwischen emphatischen Balladen und lässigen Up-Tempo-Stücken, in denen Scott all ihre stimmlichen Fähigkeiten großzügig und angenehm uneitel darbot. Interpretiert man diesen Trend, diese Rückbesinnung auf alte Darstellungsformen richtig, könnten in naher Zukunft jene Musiken eine größere Renaissance erleben, die zwei Jahrzehnte lang vor allem mittels Sampler geplündert wurden: Soul und Funk. Wie sagt man so schön: Wir bleiben dran. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10. 11. 2000)